Fünf Fragen "Corona als Chance, was man braucht und was nicht"


Ende März startete das kostenlose Corona-Seelsorgetelefon mit der Nummer 0800-45 40 106. Was bewegt die Anrufer*innen? Wie ist die erste Erfahrung? Darüber sprechen wir im Rahmen von „Fünf Fragen an...“ mit Dipl.-Psychologe Matthias Schmidt vom Beratungs- und Seelsorgezentrum – BSZ in der Hauptkirche St. Petri.


Das Corona-Seelsorgetelefon besteht jetzt seit ein paar Wochen. Wie hat das Team den Start erlebt?
Matthias Schmidt: Der Start war etwas schleppend, die Nummer musste ja erst bekannt werden. Und es wurden relativ schnell Hotlines von anderen Anbietern, aber auch innerhalb der Kirche – initiiert. Die Zahl der Gespräche hat sich dann nach einigen Tagen bis heute bei knapp 20 Gesprächen pro Tag eingependelt.

Welche sind die häufigsten Fragen bzw. Themen? Wie hat sich das im Laufe der Zeit verändert?
Die Corona-Seelsorge wurde grundsätzlich initiiert, weil der Besuch von Seelsorger*innen in den Altenheimen und Krankenhäusern stark eingeschränkt war. Uns erreichten eher klassische Telefonseelsorge-Anrufer*innen von Personen im Alter zwischen 16 und 90 Jahren. Themen sind hier Einsamkeit, Depression, Konflikte, alltägliche Widerfahrnisse. Die Menschen sind sehr dankbar, weil klassische Beratungsstellen geschlossen haben und fragen auch, wo man Gottesdienste finden kann.
Es gibt schließlich auch Menschen, die durch Corona das erste Mal auf die Idee kommen, bei einer Telefonseelsorge anzurufen. Überwiegend kann man sagen, dass reine Corona-Fälle eher bei ca. 30-50 Prozent liegen, Tendenz seit Beginn steigend. So nehmen etwa die Corona-Themen Unzufriedenheit mit den Maßnahmen, nervige Maskenpflicht oder ein Jobverlust durch Corona zu. Mit der Zeit verstärkten sich auch Anrufe von Menschen, die in der Krise auch einen Gewinn für sich sehen konnten: Corona als Chance, was man braucht und was nicht, dass man auch ohne bestimmte Dinge leben kann, auch, dass man nicht jeden Tag in eine Beratungsstelle gehen muss, dass man mit weniger auskommt. Berichte über Depressionen, die schwinden, weil alle Menschen zurückgezogener leben müssen und man sich nicht mehr so allein in seiner Isolation fühlt. Corona verstärkte das Gute und Schlechte bei den Menschen, beschreibt eine unserer Telefonseelsorger*innen. Die Themen, die vorher schon da waren, tauchten nun eben verstärkt auf.

Gibt es Personenkreise oder Regionen, die das Sorgentelefon besonders häufig in Anspruch nehmen?
Auffallend viele Anrufe kommen aus Mecklenburg-Vorpommern und aus ländlichen Räumen. Offenbar gehen West- und Ostdeutsche anders mit der Krise um.

Wie tauschen sich Ihre Kolleginnen und Kollegen untereinander aus?
Es gibt spontane, kollegiale Berichte und Unterstützung direkt nach dem Gespräch. Parallel nutzen wir auch Supervisionsangebote des eigenen Beratungs- und Seelsorgezentrums per Video oder Telefon.

Wagen wir einen Blick nach vorn: Welche seelsorgerischen Herausforderungen sehen Sie in Zukunft?
Allgemein gesagt, sollten wir Seelsorge als Alleinstellungsmerkmal kirchlicher Arbeit viel besser und deutlicher bekannt machen. Das Angebot telefonischer, aber auch digitaler Seelsorgemedien muss aus unserer Sicht dringend verstärkt werden.

 

Vielen Dank für das Interview!