Dr. Emilia Handke: Als tatkräftig und beseelt auf der einen Seite, aber auch als suchend und verunsichert auf der anderen Seite: Ich nehme ein ganz großes Bemühen von uns allen wahr, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten: sich bei der Kommunikation des Evangeliums digital zu erproben; sich selbstkritisch zu befragen, was momentan als hilfreich erlebt werden kann und diese Initiativen dann auch in zahlreichen Kooperationen mutig zu starten; die unterschiedlichen Menschen im Blick zu behalten (u.a. durch Hoffnungsbriefe an Alters- und Pflegeheime genauso wie durch WhatsApp-Gruppen oder YouTube-Botschaften). Aber ich glaube, dass wir darin alle noch auf der Suche sind und es die nächsten Wochen sein werden, die uns wirklich lehren, wer wir in Zeiten von Corona sein können. Das ist gewissermaßen „noch nicht erschienen“ (1. Joh 3,2). Auch wir müssen ja in dieser Zeit lernen mit Unverfügbarkeit umzugehen und Ohnmacht auszuhalten. Das ist alles andere als ein Kinderspiel.
Die Kreativität, die bei vielen jetzt aufblitzt; die Ehrlichkeit, mit der wir danach suchen, was wir dieser Gesellschaft sein können; der Frühling, der sich überhaupt nicht aufhalten lässt. Und die Tatsache, dass die Kirche ja selbst auf eine Krise gegründet ist: Der Übergang von Karfreitag zu Ostern ist schon eine große, geheimnisvolle Verheißung.
Wir brauchen es, uns nah zu sein. Digitale Andachten sind eine ergänzende Form für Gottesdienste, die wir gemeinsam analog feiern. Kirche lebt wesentlich von der physischen Interaktion.
Menschen gewinnt man vor allem durch Berührung in der Kindheit – im Fachdiskurs sprechen wir von religiöser Sozialisation: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, heißt es in einem Sprichwort. Und daran ist leider sehr viel richtig. Die Religion wird in der Regel über die Familie weitergegeben. Wir brauchen also gute Angebote für Familien – Angebote, die sie unterstützen und ihnen das Leben erleichtern. Kirchliche Kindergärten und Schulen sind dabei ein sehr wichtiges Feld. Wenn wir dort „glaub-würdig“ und zugewandt agieren, dann wird sich eine Verbindung zu Religion und Kirche knüpfen.
Wir verwandeln die Christianskirche in Ottensen alle sechs Wochen in ein Wohnzimmer: schieben die Bänke nach hinten, räumen Stühle und Sofas rein, hängen eine Lampiongirlande auf und schaffen ein anderes – ein stärker interaktives – Setting für Kirche. Es gibt keine Predigt, dafür kommen wir miteinander über große Fragen des Lebens ins Gespräch, die wir aus einem umfunktionierten, alten Kaugummi-Automaten ziehen. Es gibt Popmusik und Laugenkonfekt, Wein und Limo und sehr viele, sehr interessante Menschen. Wer das einmal ausprobieren will, der sollte am 15. Mai oder 12. Juni ab 20 Uhr in die Christianskirche am Klopstockplatz kommen – wenn sie denn stattfinden kann.
Vielen Dank für das Interview!
Einen Vorgeschmack auf die Wohnzimmerkirche gibt es hier: