Chefredakteurin von Hinz & Kunzt Die Neue hinter der „sozialen Stimme der Stadt“

Annette Bruhns arbeitete 25 Jahre als Redakteurin beim Spiegel. Nun leitet sie die Redaktion von Hinz & Kunzt.

Annette Bruhns leitet seit dem Jahreswechsel die Redaktion von Hinz & Kunzt. Sie löst Birgit Müller ab, die 27 Jahre lang Chefredakteurin des Magazins war. Kirche-hamburg.de hat mit Annette Bruhns über ihre neue Aufgabe gesprochen. 

Hinz & Kunzt bezeichnen Sie selbst als die soziale Stimme der Stadt. Was verbirgt sich dahinter?
Annette Bruhns: Soziale Not ist unser Kernthema. Es ist unsere Mission, darüber zu berichten. Wir schreiben nicht nur über das, was Obdachlose angeht, sondern was alle Bürgerinnen und Bürger angeht, die unter Missständen zu leiden haben, die zu kurz kommen, die diskriminiert werden.

Welche sozialen Missstände sind derzeit aus Ihrer Sicht die gravierendsten?
Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Und zwar nicht nur für Obdachlose, sondern auch für Studierende. Oder Alleinerziehende. Selbst als alleinstehende Mutter mit Festanstellung und bescheidenen Ansprüchen bekommen Sie nur sehr schwer eine Wohnung. Stattdessen werden solche Powerfrauen von oben herab behandelt. Das ist ein Thema! Genauso wie der Mangel an Freizeittreffpunkten, etwa für Jugendliche.

Was kann Hinz & Kunzt in sozialen Diskursen bewirken?
Wir machen Probleme sichtbar. Für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Politik. Aktuelles Beispiel: Der Tod von vier Obdachlosen* rund um den Jahreswechsel. Unsere Meldung haben andere Medien aufgenommen. Weil sie wissen, wir machen guten Journalismus und nicht reinen Aktivismus.

Wir verstehen uns zwar als Lobby der Armen, sind aber nicht die Zeitung, in der Obdachlose über Obdachlose berichten. Obdachlose verkaufen die Zeitschrift. Die Hamburgerinnen und Hamburger sollen sie kaufen, weil sie sie lesen wollen. Weil sie darin etwas finden, was mit ihnen, ihren Nöten, aber auch Wünschen und Träumen zu tun hat.

Wie kam es zu Ihrem Wechsel vom Spiegel zu Hinz & Kunzt?
Ich habe mich aus dem Bauch heraus für Hinz & Kunzt entschieden, Ich habe sehr gern beim Spiegel gearbeitet, seit 25 Jahren und gern auch noch bis zur Rente. Aber plötzlich sah ich diese Ausschreibung und dachte, das passt zu mir. Hier kann ich alles, was ich beim Spiegel gelernt habe, einbringen und dazu, sozusagen, meinen kleinen Apfelbaum pflanzen.

Sie möchten die Themenpalette des Blattes verbreitern und an gegebene Stellen etwas humorvolle Ansätze einbringen? Können Sie beide Aspekte konkretisieren?
Ich wäre begeistert über Cartoons! Alle Themen, die Hinz & Kunzt bearbeitet, sind hart. Da hilft, wie immer im Leben, nur Humor. Und ich fände es wichtig, mehr Frauen zu zeigen, zum Beispiel weibliche Obdachlose. Sie sind weniger sichtbar und landen seltener auf der Straße. Wissen Sie, warum?

Weil sie bei Freunden, Bekannten oder sonstwem unterkommen?
Ja, die Betonung liegt auf sonstwem. Sie schlafen mit jemandem, um bei diesem Menschen zu wohnen. Viele gehen so den Weg in die Prostitution. Jungen Müttern dagegen hilft der Staat, damit es keine Kinder auf der Straße gibt. Und obwohl diese Frauen und Kinder dann eine Wohnung bekommen, bleiben sie arm und in Not. Das ist eine Art verdeckte Obdachlosigkeit. Auch Diversität ist wichtig. Gehen schwule Obdachlose mit ihrer Homosexualität anders um, droht ihnen mehr Gewalt?

Hinz & Kunzt ist ein politisches Projekt und bezieht auch klar Stellung zu sozialen Fragen, etwa wenn es um das Winternotprogramm geht. Geben Sie nun etwas Ihrer journalistischen Unabhängigkeit auf?
Wir machen unabhängigen Journalismus. Wir beleuchten Themen aus allen Blickrichtungen, lassen alle Parteien zu Wort kommen beispielsweise. Es gibt Themen, die bleiben schlimm, selbst wenn man sie aus allen Blickwinkeln beleuchtet. Zum Beispiel die Situation im Winternotprogramm. Was dort passiert, ist unvernünftig. Der Kontakt ist wegen der Corona-Pandemie nun auf den eigenen Haushalt plus eine weitere Person beschränkt worden, und auf der anderen Seite haben wir Obdachlose, die nachts in großen Sammelunterkünften schlafen.

Wenn Sie optimistisch fünf Jahre vorausblicken: Wo steht Hinz & Kunzt da?
Dann würde sich Hinz & Kunzt mindestens so gut verkaufen wie im Jahr 2019. 2020 war durch die Pandemie ein fürchterliches Jahr. Gleichzeitig könnte man die Zeitung dann auch digital bezahlen. Und ich hoffe, dass sich insbesondere jüngere Leser dann eine Version digital bei den Verkäufern herunterladen können.


* Mittlerweile sind es fünf verstorbene Obdachlose, wie Hinz & Kunzt online vermeldete, nachdem dieses Interview geführt wurde.

Zur Person: Annette Bruhns war 25 Jahre lang als Redakteurin beim Spiegel tätig, vorher arbeitete sie für das Greenpeace-Magazin. Ausgebildet wurde sie an der Henri-Nannen-Journalistenschule. Journalistische Gehversuche unternahm sie im Ausland, so war sie zum Beispiel mit einem Stipendium in Brasilien und begleitete dort die Landlosen-Bewegung und deckte die Problematik der unsachgemäß verwendeten deutschen Pestizide auf.