Frau von Appen, hatten Sie als Kind einen Traumberuf?
Ja, ich wollte Ärztin werden – Herzchirurgin. Ich habe dafür auch alle Voraussetzungen erfüllt.
Jetzt sitzen Sie mir jedoch nicht als Ärztin, sondern als Diakonin gegenüber. Wie ist es dazu gekommen?
Über Umwege! Eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin, etwas Handfestes vor dem langen Medizinstudium, habe ich abgebrochen. Dann prägte mich nach einem Aushilfe-Job in der Küche einer Senioreneinrichtung mein freiwilliges soziales Jahr in der Diakonie Hamburg, wo ich in einem Kindergarten auf St. Pauli eingesetzt wurde. Anschließend wollte ich gerne an der Evangelischen Hochschule des Rauhen Hauses studieren, doch meine erste Studienbewerbung scheitere. Deshalb erfüllte ich mir einen Traum und arbeitete über ein halbes Jahr lang in einem Friedensdorf in Israel mit Jugendlichen und Kindern. Noch in Israel verweilend, bekam ich die Zusage auf einen Studienplatz im Rauhen Haus, kehrte zurück und machte mein Diplom als Sozialpädagogin und die Doppelqualifizierung als evangelische Diakonin.
Hatten Sie da noch Bedenken?
Ich habe mir oft die Fragen gestellt: Will ich das wirklich? Will ich für die Kirche arbeiten und ein Leben lang Diakonin sein? Als Diakonin, so verstehe ich es, bin ich berufen, auf den Spuren Jesu unterwegs zu sein. Mit dem Doppelgebot der Liebe: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Ich habe diese Fragen immer wieder im Innersten bewegt, mich mit Dozenten ausgetauscht und letztendlich war es eine laute Stimme in mir, die mich bestärkte.
Seit zwei Jahren sind Sie hauptamtlich in der ev.-luth. Kirche in Niendorf. Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen besonders wichtig?
Während das Motto unserer Kindergärten „mit Gott groß werden“ heißt, geht es im Konfirmand*innenunterricht um die Teilnehmenden selbst und das Herausfinden und Stärken der eigenen Beziehung zu Gott und zur christlichen Gemeinde. Bei unseren Angeboten für Kinder und Jugendliche steht vor allem die Gemeinschaft und das Miteinander im Vordergrund. Die Individualisierung unserer Gesellschaft aber auch der längere Unterricht an den Ganztagsschulen tragen dazu bei, dass Kinder immer weniger in Freizeitsituationen kommen, die sie selbst gestalten können. Ganz im Sinne der Kinderechtskonventionen von 1986 bekommen sie hier Möglichkeiten, miteinander demokratisch umzugehen und sich aktiv zu beteiligen.
Wie erleben Sie denn die Jugendlichen heute?
Sie sind ganz anders als ich früher. Die Jugendlichen, die ich in meiner Gemeinde hier erlebe, sind vielfach darauf bedacht, einen guten Abschluss zu machen und gestalten weise den Prozess ihrer Zukunft mit. Ihnen sind ihre körperliche Gesundheit und eine gute Balance zwischen Arbeit und sinnbringender Freizeitgestaltung enorm wichtig. Die jungen Menschen sind gut organisiert, verlässlich, aufmerksam und dankbar für abwechslungsreiche Bildungsangebote.
Das motiviert und bringt mich zu Höchstleistung. Besonders von den ehrenamtlichen Teamer*innen bekomme ich die für meine Arbeit wichtigen Impulse. Mich begeistern ihre Neugier und Lebenslust. Ich bewundere Kinder und Jugendliche auch dafür, wie sie eine innere Stärke, ein Bewusstsein füreinander und einen respektvollen Umgang miteinander entwickeln.
Gab es schon Momente, in denen Sie aufgeben wollten?
Immer wieder dann, wenn ich mir zu viel vorgenommen habe und meine Balance zwischen Arbeit und Freizeit nicht ausgeglichen ist. Dann sehe ich dies als Herausforderung, etwas zu verändern. Und wenn das nicht so gut klappt, dann kommt es mit in meine Gebete. Auch Bewegung – zum Beispiel früh morgens bei einem langen Spaziergang – hilft mir dabei, Klarheit zu gewinnen. Diakonin sein ist für mich eine Berufung, auch im Privaten.
Durch Ihre Arbeit haben Sie auch Einblicke in belastende Situationen. Wie gehen Sie damit um?
Da kommt mir mein fachlich intensives Sozialpädagogikstudium und meine nun schon gesammelte Lebenserfahrung zugute. Ich durfte schon viele Menschen in schweren Lebenssituationen begleiten. Was mir Jugendliche oder Kinder aus ihren Familien und auch Eltern erzählen, bleibt zwischen uns. Ich frage nach: „Was brauchst du, damit sich deine Situation verbessert?“ Und ich wirke unterstützend, solange ich benötigt werde. Fälle, mit denen ich nicht umgehen kann, gebe ich ab, weil Mitleid mich schwächt und handlungsunfähig macht. Ich bete für die Menschen oder für Situationen. Gerade dann brauche ich das Himmelreich, um alle mögliche Unterstützung zu geben.
Und wie war dieses „Corona-Jahr“ für Sie?
Anfangs war es eine große Umstellung und übermäßig viel Arbeit: Digitale Angebote schaffen, Hygieneschutzkonzepte schreiben, mein Kind nebenbei zu Hause beim Lernen unterstützen – und dabei nicht selbst in der Verzweiflung versinken. Vieles, was wir für 2020 geplant hatten, konnte nicht stattfinden. Trotzdem waren wir miteinander in Kontakt, trafen uns online zum Spielen oder Quatschen. Wir haben einfach alles ein bisschen reduzierter und später dann in Präsenz achtsamer durchgeführt. Ich glaube, dass bei vielen Kindern und Jugendlichen nochmals ein stärkeres Bewusstsein dafür entstanden ist, wie gut und notwendig es ist, einander zu haben und Zeit miteinander zu verbringen.
Was sind Ihre Hoffnungen fürs neue Jahr?
Hoffnungsvoll haben wir 2021 geplant als gäbe es Covid-19 nicht. Wenn etwas so nicht stattfinden kann, müssen wir dies annehmen, das Angebot digital veranstalten oder absagen. Fürs neue Jahr haben wir nur einen vierseitigen Flyer für die geplanten Veranstaltungen und verweisen mit QR-Codes auf unsere Homepage und Instagram. Was möglich ist, machen wir möglich! Ich freu mich auf die Herausforderungen in 2021.
Vielen Dank für das Gespräch!