Herr Freese, Sie sind Vikar. Was bedeutet das genau?
Ein Vikar ist so etwas wie ein Referendar an der Schule. Nach den vielen Jahren im Theologiestudium wird man nochmals knapp 2,5 Jahre praktisch ausgebildet. Und das mache ich hier in Altona-Ost, vor allem an der Friedenskirche. Ursprünglich bedeutet Vikar „Stellvertreter“ und so vertrete ich auch regelmäßig meinen Anleiter Pastor Dr. Lennart Berndt – heute Nachmittag beispielsweise beim Seniorenkreis. Vor allem aber versuche ich alles zu lernen, was im Pfarramt so vorkommen kann.
Und warum möchten Sie Pastor werden? Wie ist dieser Berufswunsch entstanden?
Der Wunsch entstand spät. Ich komme aus Mecklenburg und dort ist die Kirchenzugehörigkeit alles andere als selbstverständlich. Als Konfirmand war ich ein Exot, nur zwei von 30 Schülern ließen sich konfirmieren. Deshalb konnte ich mir auch lange nicht vorstellen, Pastor zu werden – im Gegenteil, ich wollte sogar aus der Kirche austreten. Das änderte sich erst als ich über meinen Schwiegervater, der Pastor ist, Kirche nochmals ganz anders kennenlernte – nahbar, lebenslustig und nicht so verkopft. Und da hat sich bei mir die Idee entwickelt, dass ich vielleicht diesen Beruf ausfüllen könnte.
Man hat ja so seine Vorstellungen von einem Beruf und dann ist in der Praxis doch vieles anders. Was hat Sie überrascht?
Wie krass stressig ein Gottesdienst und dessen Planung sein kann – und was für ein Lampenfieber man hat! Eine erste Taufe, eine erste Hochzeit und eine erste Beerdigung können unglaublich aufregend sein. Und mich hat überrascht, wie viel man zurückbekommt. In diesem Beruf kann man wirklich Herzen öffnen. Gerade bei Amtshandlungen ist da oft eine große Dankbarkeit bei den Menschen – und das macht diesem Beruf so sinnvoll.
Haben Sie auch schon Enttäuschungen oder Niederlagen erlebt?
Ja, regelmäßig. Bei meinen ersten Predigten war ich sehr frustriert, weil mir nichts einfiel und ich gar nicht wusste, für wen ich da eigentlich etwas aus der Bibel aufbereiten soll. Da hat mir nur der Zeitdruck geholfen! Inzwischen ist da aber der Knoten geplatzt. Eine andere herausfordernde Situation war im August als wir Einschulungsgottesdienste veranstaltet haben. Ich habe mir da viel Mühe gegeben und dann kamen zu zwei Gottesdiensten jeweils nur eine Familie mit einem einzigen Schulkind.
Ich habe in den Podcast „One And A Half Preacher – Der Gottcast“ reingehört. Erzählen Sie mal kurz…
Unsere Jugend hatte die Idee, ein neues Format zu schaffen: „One And A Half Preacher“ – mein Anleiter ist der ganze, ich bin der halbe Pastor. Angelehnt ist das natürlich an „Two And A Half Men.“ Jugendliche können uns ganz ehrlich all das fragen, was sie sich sonst vielleicht nicht unbedingt trauen würden. Man macht ja keinen Termin aus, um beispielsweise einen Pastor zu fragen, ob er Alkohol trinken darf. Der erste Aufnahmetag nach den Sommerferien war unglaublich witzig – und ich freue mich schon auf die zweite Folge.
Wer ist Gott für Sie? Was macht ihr Glaube aus?
Mein Glaube ist noch nicht fest, eher dynamisch. Ich habe schon immer irgendwie an Gott geglaubt, aber es war sehr unkonkret. Vor 10 Jahren ist dann ein naher Angehöriger überraschend gestorben. Und da war Kirche für mich persönlich da – und ich habe zum ersten Mal im Leben wahrgenommen, wie toll Kirche einem in solchen Tiefen begleiten kann. Da hat sich mein Glaube weiterentwickelt, weil ich den Tod eines geliebten Menschen dadurch verarbeiten konnte. Dieser Auferstehungsglaube hat sich bei mir dann ganz praktisch eröffnet. Gott ist für mich heute eine Kraft, die mich umgibt und begleitet, die man zwar nicht immer spüren kann, aber von der ich überzeugt bin, dass sie da ist.
Sie selbst sind 32 Jahre alt. Ist Kirche für Menschen Ihrer Generation noch relevant?
Mit dieser Frage habe ich täglich zu tun, denn meine Freunde sind nicht in der Kirche tätig. Und ich muss ihnen regelmäßig erklären, warum es sich lohnt in der Kirche zu bleiben. Gerade merke ich, dass der Lockdown unglaublich gut war, weil er digitale Formate wie diesen Podcast vorangebracht hat. Das sind Möglichkeiten, über die meine Generation den Anschluss an Kirche nicht verliert. Gottesdienst und so etwas ist, glaube ich, nicht wirklich attraktiv für meine Generation. Die Schwelle in eine Kirche zu gehen, ist einfach unglaublich hoch. Deshalb muss man kreativ sein und neue Angebote schaffen.
Und wie sehen Sie Ihre Zukunft als Pastor?
Ich sehe mich als Gemeindepastor, der möglichst nicht so viele Ausschüsse leiten muss, sondern Zeit für Amtshandlungen, Gottesdienste und Kreise hat. Mir ist die Arbeit mit Menschen einfach am wichtigsten. Ob das jetzt auf dem Land oder in der Stadt ist – da bin ich eigentlich ganz flexibel.
Vielen Dank für das Gespräch.