Der 24. Dezember ist für viele Menschen ein Tag, an dem sie ihre liebsten Menschen um sich sammeln und eine besinnliche Zeit miteinander verbringen. Doch für andere ist es eine Zeit, an der sie besonders schmerzlich daran erinnert werden, dass eine geliebte Person fehlt. Oder sie werden einmal mehr damit konfrontiert, wie allein sie auf dieser Welt sind.
Kurzum: Die Weihnachtstage stellen für nicht wenige Menschen in der Stadt und auf der ganzen Welt eine große emotionale Belastung dar. Gesellschaftlich wird diese Zeit mit Freude, Beschaulichkeit und Miteinandersein verbunden – gerade für diejenigen, die in Trauer sind, können diese Tage nahezu unerträglich werden.
Die Agentur der evangelischen Kirche Hamburg st. moment möchte diesen Menschen einen Ort geben für ihre Gefühle, ihren Schmerz, ihre Trauer – aber auch für Fröhlichkeit, Humor und Erinnerungen. Dazu lädt sie unter dem Motto “Fröhliche Weihnachten für traurige Menschen” am 24. Dezember in die Fritz-Schumacher-Halle auf dem Friedhof Ohlsdorf ein. Geleitet wird der Gottesdienst von Pastor Jan Roßmanek, der zusammen mit Tjark Pinne, Organist der Hauptkirche St. Nikolai, auch für die musikalische Untermalung sorgen wird. Mit dem Pastor sprachen wir über einen ganz besonderen Gottesdienst zur Weihnachtszeit.
Christian Schierwagen: Hallo Herr Roßmanek! Weihnachten ist für viele Menschen ein Fest der Freude. Warum glauben Sie, dass es gerade in dieser Zeit so wichtig ist, der Traurigkeit Raum zu geben?
Pastor Jan Roßmanek: Das fängt bereits damit an, dass das Thema „Weihnachten“ in unserer Gesellschaft auf bestimmte Weise geframed ist: Wir müssen fröhlich sein, wir müssen auf das Fest hin fiebern. Dazu zählen auch bestimmte Bilder, die wir alle kennen, von Menschen, die Hand in Hand durch den Schnee spazieren, von leuchtenden Kinderaugen… Schon im „normalen“ Kontext erfüllen sich unsere hohen Erwartungen an das Fest nicht zwangsläufig. Für manche Familien wird es eher ein „Schreinachten“, und wir sind froh, wenn wir die Tage hinter uns haben.
Doch Einsamkeit und Traurigkeit, solche Gefühle ballen sich an besonderen Daten wie Weihnachten oder Geburtstagen immer besonders, zum Beispiel dann, wenn wir einen lieben Menschen verloren haben: Da ist nun ein Platz, der für immer leer bleibt. Und gerade an den Festtagen erinnern wir uns an die Dinge, die wir immer gemeinsam gemacht haben. Wir spüren auf schmerzhafteste Weise, worum es an Weihnachten wirklich geht: Liebe und das Zusammensein. Und das Fehlen davon erleben wir besonders an diesen Tagen, ob wir es verloren haben oder nie hatten, also schon lange in einer tiefen Einsamkeit feststecken.
Schierwagen: In Ihrer Pressemitteilung sprechen Sie von einer besonderen Gemeinschaft, die an diesem Abend entsteht. Was genau macht diese aus?
Roßmanek: Die Menschen im Gottesdienst schaffen sich einen eigenen Kreis, in dem niemand irgendein Gefühl verstecken muss. Allen, die da sind, ist klar: Ich bin hier, weil ich offen damit umgehen möchte, dass ich gerade in Trauer bin. Ob ich um mein Haustier trauere oder um den Sohn, der mit 18 gegangen ist, oder was auch immer passiert ist: Ich muss mich nicht verstecken, und ich kann auch bei einem Lied in Tränen ausbrechen. Das kann und darf ich ohnehin, aber das so etwas explizit „freigegeben“ ist, verändert die Atmosphäre und auch die Verbindung untereinander.
Das hilft auch für den Austausch, denn eigentlich möchte niemand am Heiligen Abend davon erzählen, dass es aus bestimmten Gründen gerade nicht gut geht. Gerade die Thematik und der Gottesdienst an sich sind hierfür aber die Einladung, und das nimmt Last. Die Botschaft ist: Du brauchst es nicht zu verstecken, du musst dich aber auch nicht erklären. Allen ist klar, dass du hier teilnimmst, weil du betroffen bist, sich deine Gefühle drehen und dein Herz gerade matt ist. Und gleichzeitig geht es auch um Erinnerungen, die uns Kraft geben, um die Botschaft, dass die Dunkelheit nicht das letzte Wort hat.
Sehnsucht ist in Ordnung; und je stärker sie ist, umso tiefer war die Liebe zu dem Menschen, der nun fort ist, und wir wollen gemeinsam feiern, was da ist – und Schmerz zulassen.
Schierwagen: Gibt es ein Ereignis aus der Vergangenheit, das Ihnen zeigt, wie wertvoll das Angebot für Trauernde sein kann?
Roßmanek: Das Schönste bei unseren Angeboten für Trauerarbeit ist, wenn jemand auf mich zukommt und sagt: Es geht mir jetzt besser als letztes Jahr. Dass ich merke, dass da jemand vor mir steht, der letztes Jahr emotional am Boden war und nun ein Jahr später zumindest ein stückweit heilen konnte, dem die Gemeinschaft wirklich geholfen hat. Jemand, der sich erlaubt, wieder zu lächeln oder über die Witze zu lachen, über die er damals gemeinsam mit der anderen Person gelacht hat.
Natürlich kann und wird kein Gottesdienst die Gefühle der Trauer einfach wegzaubern. Sie bleibt. Genauso aber auch das Gefühl der Gemeinschaft, die Verbindungen, die bei solchen Angeboten entstehen. Und das ist das Schönste zu spüren: dass es hilft.
Schierwagen: Einsamkeit ist kein Thema, über das Betroffene gerne reden. Was würden Sie einer Person sagen, die zu unsicher oder schüchtern ist, um zu dieser Veranstaltung zu kommen?
Roßmanek: Der erste Schritt erfordert sehr viel Mut, keine Frage. Man kann eine vertraute Person bitten, mitzukommen, das machen viele. Es ist keine Anmeldung erforderlich, man kann jederzeit gehen. Vielleicht hilft ein Blick in sich hinein: Fühle ich mich irgendwo angesprochen von dem Gedanken der bitterschönen Fröhlichkeit in der Traurigkeit? Von einem entsprechenden Gottesdienst, der Fragen zulässt und nicht nur simpel wirkende Antworten geben möchte?
Es ist das Angebot einer temporären Weihnachtsgemeinde, mit all der Sehnsucht und all der Dunkelheit – und all dem Licht.
- Wann: Heiligabend, 24. Dezember 2024, um 16 Uhr
- Wo: Fritz-Schumacher-Halle auf dem Friedhof Ohlsdorf (Fuhlsbütteler Straße 758)