„United 4 Rescue“ ist ein Bündnis zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung und setzt sich aus mittlerweile gut 700 Organisationen zusammen, darunter auch die evangelische Kirche in Hamburg. Im vergangenen Jahr kaufte das Bündnis zusammen mit dem Verein Sea-Watch aus Spenden ein eigenes Rettungsschiff und taufte es auf den Namen Sea-Watch 4. Am 15. August 2020 verließ die Sea-Watch 4 den Hafen von Burriana, Spanien, um zu ihrem ersten Einsatz aufzubrechen. Doch nun liegt das Schiff monatelang untätig vor Anker.
Magdalena Zimmermann, Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Kirche in Hamburg, spricht im Interview über die Hintergründe.
Von wem und warum wird die Sea-Watch 4 derzeit an einem Einsatz auf dem Mittelmeer gehindert?
Magdalena Zimmermann: Die Sea-Watch 4 wurde durch die italienische Hafenstaatsbehörde in Palermo festgesetzt. Das ist nicht das erste Mal, dass zivile Seenotrettungsschiffe von Einsätzen im Mittelmeer abgehalten werden (Anm. d. Red.: Auch die "Alan Kurdi" von Sea-Eye liegt noch immer in Sardinien fest). Vielmehr ist dieses Vorgehen Teil einer Politik der Abschreckung in den letzten Jahren. Durch das Fehlen ziviler Seenotrettungsschiffe wird die Überquerung des Mittelmeers für Flüchtende noch riskanter und fordert immer mehr Opfer. So starben bereits in der ersten Woche des neuen Jahres mindestens 15 Menschen beim Versuch, Europa zu erreichen.
Einer der Gründe lautet ja, dass zu viele Rettungswesten an Bord seien. Das klingt etwas paradox, geht es ja schließlich um die Rettung von Menschen auf dem Mittelmeer, für die man Rettungswesten braucht…
Tatsächlich ist die Anzahl an Rettungswesten nur einer von vielen Punkten auf einer langen Liste von insgesamt 22 Mängeln. Das überrascht, da deutsche Behörden bei ihrer Kontrolle im Juli 2020 zu einem ganz anderen Ergebnis kamen.* All dies macht die politische Motivation der italienischen Behörden deutlich, zivile Seenotrettung zu begrenzen – eine Strategie, die auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer in einem Brief an den Verkehrsminister Scheuer einfordert.
Wie geht Sea-Watch gegen die Blockade vor?
Sea-Watch hat Widerspruch beim Verwaltungsgericht in Palermo eingereicht. Das Gericht hat die Frage zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof weitergeleitet. Vom diesem Urteil könnte ein wichtiger Impuls ausgehen, der nicht nur für die Festsetzung der Sea-Watch 4, sondern auch für andere Rettungsschiffe entscheidend sein könnte. Die Klärung vor dem Verwaltungsgericht in Palermo soll am 26. Januar erfolgen.
Darüber hinaus nimmt Sea-Watch den Flaggenstaat, also Deutschland, in Verantwortung, klar Stellung zu der Unrechtmäßigkeit der Festsetzung zu beziehen. Und nicht zuletzt bringen Sea-Watch und zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die Pflicht zur Seenotrettung in gesellschaftliche Diskurse ein.
Was können wir als Zivilgesellschaft denn konkret tun?
Wir alle können uns einsetzen, indem wir beispielsweise Bündnisse wie die Seebrücke oder United 4 Rescue unterstützen: Das geht finanziell, aber auch ideell beispielsweise durch Infoveranstaltungen, Andachten, Beitritt zum Bündnis als Einzelperson oder Verein bzw. Unternehmen.
Darüber hinaus ist es wichtig, politische Vertreterinnen und Vertreter, sei es hier in Deutschland oder auf europäischer Ebene, stärker in die Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen zu nehmen. Dieses Jahr stehen beispielsweise Bundestagswahlen an – welche Positionen vertreten unsere Parteien in der Frage der Seenotrettung?
So können wir Öffentlichkeit und Bewusstsein für das Thema schaffen, entweder auf Demonstrationen und durch Kampagnen oder in unserem Umfeld, bei unseren Familien und im Freundeskreis.
*Erst im Juli 2020 hat die BG Verkehr als deutsche Flaggenstaatsbehörde (und damit zuständige Stelle für die Kontrolle der Sicherheit unter deutscher Flagge fahrender Schiffe) der Sea-Watch 4 die Einhaltung aller benötigten Sicherheit- und Umweltstandards zertifiziert. Als Antwort auf eine kleine Anfrage vom 07.12.2020 wiederholte die Bundesregierung die Einschätzung der Flaggenstaatsverwaltung über den tauglichen Zustand der Sea-Watch 4 auch nach deren Festsetzung. (Bundestagsdrucksache 19/25672 vom 04.01.2021)
Zur Person: Seit Anfang Dezember 2020 ist Magdalena Zimmermann neue Flüchtlingsbeauftragte des Kirchenkreises. Sie kommt aus dem Schwäbischen und hat an vielen Orten studiert: für den BA Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Interkulturelle Beziehungen in Fulda und Windhoek/Namibia und für den MA Migrationswissenschaften in Oldenburg, Stavanger/Norwegen, Mbarara/Uganda und Johannesburg/Südafrika. Praktika machte sie in der Beratung von Geflüchteten und arbeitete für internationale Freiwilligendienste. In ihrer Arbeit bringt sie das Thema Seenotrettung immer wieder mit ein, um Aufmerksamkeit für die Situation im Mittelmeer zu schaffen und ist Teil des Bündnisses United 4 Rescue.