Rechtspopulismus ist eine Herausforderung auf gesellschaftlicher Ebene. Immer öfter werden Menschen auch im Alltag damit konfrontiert. Wie wir uns in solchen Situationen richtig verhalten, erklären unsere evangelischen Kommunikationsexperten im Interview.
Oftmals kommen sie ohne Vorwarnung. Sätze, wie: „Diese Flüchtlinge kommen doch nur hierher, um zu schmarotzen!“ Sie kommen aus den Mündern der Großeltern, Eltern, Geschwister und vom Tisch im Restaurant nebenan – und führen nicht selten dazu, dass man erstarrt da sitzt und nicht so recht weiß, was man nun sagen soll. Ist es besser, in solchen Momenten zu schweigen, um den Frieden nicht zu gefährden? Oder ist es nicht vielmehr wichtig, sofort etwas entgegenzusetzen? Doch was?
Darüber sprechen wir im Interview mit drei evangelischen Kommunikationsexperten: Paul Steffen, Politikwissenschaftler, Karl-Georg Ohse, Sozialpädagoge und Projektleiter von „Kirche stärkt Demokratie“, und Krischan Heinemann, Pastoralpsychologe und Leiter des Beratungs- und Seelsorgezentrum Hauptkirche St. Petri.
Zunächst gilt es, auf sich zu schauen
Karl-Georg Ohse rät dazu, zunächst auf sich selbst zu schauen: „In welcher Situation geschieht die Äußerung und wie bin ich gerade selbst verfasst? Habe ich gerade die Muße und Energie, in die Auseinandersetzung zu gehen und damit womöglich den Weihnachts- oder Familienfrieden zu gefährden?“ Bei eindeutig rassistischen oder anderweitig menschenverachtenden Aussagen sei es jedoch ungemein wichtig, eine Grenze zu setzen, so der Wissenschaftler weiter.
Schließlich ginge es auch um die Frage, ob das Gegenüber gerade die eigene „Wahrheit“ verkünden wolle – also gar nicht an einem Gespräch interessiert ist – oder ob es sich wirklich um einen Dialog, ein gegenseitiges „Verstehen wollen“, handelt, sagt Krischan Heinemann.
Doch auch mit genug Energie und einem grundsätzlichen beidseitigen Interesse am Gespräch fällt es vielen Menschen oft nicht leicht, den Mund aufzumachen, wenn sie eine rassistische oder rechtspopulistische Aussage hören. Politikwissenschaftler Paul Steffen nennt das den „Betroffenheitsreflex“, der aufkomme, sobald ein anderer Mensch laut oder ausfallend wird. „Da wollen Menschen diese Situation meist lieber übergehen oder wegdrücken – aber das ist selten hilfreich“, denn das unangenehme Gefühl würde für alle Beteiligten im Raum bleiben. „Und noch viel schlimmer: Schweigen wird als Zustimmung gesehen. Wenn etwas im Raum steht, ist es wichtig, auf irgendeine Weise zu reagieren und sei es, indem man Betroffenheit ausdrückt.“
Rechtspopulistische Aussagen irritieren – das kann man auch laut aussprechen
Doch wie kann so eine Reaktion aussehen? Zunächst kann es hilfreich sein, einfach nachzufragen, rät Karl-Georg Ohse, denn: „Wer fragt, der führt. Es kann also helfen, nachzuhaken: ‚Was hast du damit gemeint?‘ oder auch: ‚Habe ich dich gerade richtig verstanden?‘ sind hierbei mögliche Einstiege.“ Das würde es – im besten Fall – erleichtern, hinter die eigentliche These der Behauptung zu kommen. „Vielleicht geht es ja um etwas ganz anderes als die laut geäußerte rechtspopulistische Aussage.“
Diesen Ansatz vertritt auch Krischan Heinemann: Unzufriedenheit, Sorgen und Ängste seien alles Dinge, die jeder Mensch verstehen könne – „aber all das darf auch einem Realitätscheck unterzogen werden“. Meint: Versteht man selbst das Gegenüber in seinen menschlichen Emotionen, fiele es auch diesem leichter, sich und die Gefühle hinter den Parolen zu verstehen. Oft seien dann die „simplen Lösungen“ fraglich und würden weder dem Gegenüber, noch sonst wem helfen.
Wichtig sei auch, die eigene Irritation deutlich zu machen, ergänzt Paul Steffen. „Dabei sollte man darauf achten, nicht zu anklagend zu formulieren, sondern möglichst unaufgeregt Haltung zu zeigen.“ Niemand müsse in solchen Momenten die überzeugendsten Argumente zur Hand haben. Meistens würden einem die guten Argumente ohnehin erst dann einfallen, wenn das Gespräch schon vorbei ist, sagt Karl-Georg Ohse. Viel wichtiger sei es, dem Entsetzen über bestimmte Aussagen den notwendigen Raum zu geben.
„Es hilft ebenfalls, auf die eigenen Erfahrungen und Sichtweisen zurückzugreifen und diese in der Ich-Perspektive zu teilen“, so Paul Steffen. Wenn also das Gegenüber verallgemeinernde Aussagen über eine Menschengruppe tätigt, ließe sich mit einem einfachen: „Das habe ich anders erlebt“ oder: „Das hört sich für mich sehr übertrieben an“ reagieren. Dies sei noch kein Frontalangriff, erklärt der Politikwissenschaftler, würde das Gesagte jedoch gut abfangen.
Und man dürfe auch „Stopp!“ sagen, betont Krischan Heinemann: „Ich kann nicht mehr zuhören, ich verstehe das nicht, ich ertrage das nicht“ – alles legitime Gründe, ein Gespräch dieser Art abzubrechen. Ein Dialog bringe nichts, wenn man selbst beispielsweise genervt oder abgestoßen ist, denn schließlich brauche man für ein gutes Gespräch Zeit, Ruhe, eine gute Atmosphäre, Raum und Bereitschaft, so der Pastoralpsychologe weiter.
Auch eine Sache der Übung
Rechtspopulistische Aussagen – egal, ob sie von unseren Liebsten oder Fremden kommen – bringen viele Menschen oftmals aus dem Konzept. Man reagiert mit Scham, denn in solchen Momenten „schämen wir uns für unsere Mitmenschen, obwohl wir das eigentlich nicht müssten“, erklärt Karl-Georg Ohse. Und nicht selten hätte man Angst vor einem Schlagabtausch, vor der Konfrontation und einer Eskalation. „Wir haben dabei oft im Hinterkopf, was alles Schlimmes passieren könnte, dabei ist es meistens gar nicht so, gerade dann nicht, wenn unser Gegenüber redebereit ist.“
Nicht zuletzt wachsen viele Menschen mit einem Missverständnis von Streit auf, sagt Paul Steffen: „Streit wird in nicht wenigen Familien als etwas Negatives angesehen. Was verständlich ist, denn wann geht man schon einmal auseinander und sagt: ‚Man, was haben wir gut gestritten!‘ Dabei kann – konstruktiver – Streit sehr gut für jede Beziehung sein.“ Letztlich sei es auch eine Sache von Übung: Je öfter man etwas sagt, sobald man eine rechtspopulistische Aussage hört, desto leichter fällt es mit der Zeit.
Paul Steffen, Politikwissenschaftler, Fachstelle Engagementförderung und Karl-Georg Ohse, Sozialpädagoge, Projektleiter „Kirche stärkt Demokratie“ im Sprengel Mecklenburg-Pommern bieten einen Workshop zum Thema Umgang mit Rechtspopulismus.
- Wann? Samstag, 16. März, 10:30-15Uhr
- Wo? Haus der Kirche, Max-Zelck-Straße 1, 22459 Hamburg
Bei Interesse an einer Teilnahme, melden Sie sich unter folgender E-Mail: paul.steffen@kirchenkreis-hhsh.de