Eigentlich hatte Cornelia Strauß vor, Lehrerin zu werden. Doch während ihres Studiums in Tübingen freundete sie sich mit einigen Theologie-Studentinnen an, die sie durch ihr weltoffenes, liberales Christsein nachhaltig prägten. Eine Freundin ermutigte sie dazu, sich auf eine freie Stelle in der Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche – damals noch in Westfalen – zu bewerben. Für dieses zweite Berufsfeld qualifizierte sie sich als kirchliche Öffentlichkeitsarbeiterin und Journalistin in Ausbildungsgängen des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik. Vier Jahre später zog sie der Liebe wegen nach Hamburg und setzte ihre berufliche Laufbahn in der Kirche fort.
Gemeinschaft und Demokratie stärken
Wie ein roter Faden zieht sich ihr persönliches Interesse an der jüdisch-deutschen Geschichte durch ihr Leben. Bereits in den 1980-er Jahren hatte Strauß Spuren jüdischen Lebens im Stadtteil Rexingen in Horb am Neckar entdeckt und in Erfahrung gebracht, dass rund ein Drittel der früheren Dorfbewohner vor den Nationalsozialisten nach Israel geflüchtet waren. Ihren Spuren folgend, lernte Strauß Jahre später in Shavei Zion an der Mittelmeerküste deren Nachfahren kennen. „Sie sprachen den vertrauten, schwäbischen Dialekt meiner Großeltern“, erzählt sie. Im Hamburger Westen organisierte Strauß regelmäßig Stadtteiltouren, um mit zahlreichen Interessierten frühere Wohnorte von jüdischen Bürgern aufzusuchen und sichtbar zu machen.
Strauß ist überzeugt, dass die Kirche den Auftrag hat, Impulse zu setzen – zur Stärkung der Gemeinschaft und der Demokratie. Seit über 20 Jahren gestaltet sie deshalb gemeinsam mit einem ehrenamtlichen Team die monatlich stattfindenden „Blankeneser Gespräche“, ein Dialogforum zu gesellschaftlichen und theologischen Themen. Dass Kirche eine Orientierungshilfe sowie einen geschützten Raum für ein breites Spektrum an Meinungen anbietet, findet Strauß angesichts des wachsenden Populismus und der weiten Verbreitung von „Fake News“ heute wichtiger denn je. Deshalb möchte sie sich auch in ihrem Ruhestand weiterhin aktiv dafür engagieren.
Während ihrer 30-jährigen Berufstätigkeit für die evangelische Kirche in Hamburg erlebte sie große Strukturreformen in der Nordkirche und den Kirchenkreisen mit. „Das hat die kirchliche Arbeit verändert“, sagt Strauß. Zentrale Stellen in der Verwaltung findet sie sinnvoll, doch sie machte auch die Beobachtung, dass große Einheiten zu mehr Bürokratie führen. Insbesondere die Bildungs- und Seelsorgearbeit sollten aus ihrer Sicht an der Basis verankert bleiben, um Flexibilität zu ermöglichen und nah an dem Menschen zu bleiben. „Es besteht sonst die Gefahr, dass es zu einer Anonymisierung in der Kirche kommt und man sich durch die fehlende Nähe fremd wird“, meint sie.
Kirche autonom mitgestalten
Eine Person, der sie viel verdankt und die sie zutiefst bewundert, ist ihr inzwischen verstorbener, damaliger Propst des Kirchenkreises Blankenese, Herwig Schmidtpott. „Durch seine leise, wohlwollende Art und seinen fast unsichtbaren Führungsstil hat er viele Menschen motiviert, mit Schwung ihre Stärken auszubauen“, berichtet sie. „Er gab mir das Vertrauen, autonom zu arbeiten und dadurch Kirche zu gestalten.“ Was Strauß an vielen Mitarbeitenden in der Kirche und speziell in der Arbeit der Diakonie schätzt, ist ihre „Nachsichtigkeit gegenüber Menschen, die gestrauchelt sind oder es im Leben nicht so geschafft haben.“ Die gelebte Nächstenliebe in der Kirche bedeutet ihr viel und war immer ein wichtiger Antrieb für ihre Arbeit.
Auch das wöchentliche – vierstimmige – Geburtstagssingen für alle Mitarbeitenden wird ihr fehlen. „In keiner Institution unserer Gesellschaft wird so viel gesungen wie in unseren Kirchen“, betont Strauß. Ihrem Ruhestand sieht sie zuversichtlich entgegen. Sie freut sich auf die neue Lebensphase und hat sich vorgenommen, in Zukunft endlich mehr Sport zu treiben. Einigen landeskundlichen Themen möchte sie noch weiter nachforschen und „Kirchen immer wieder durch die Hintertür mit hineinnehmen“.