Miteinander ins Gespräch kommen, wie lässt sich das (wieder) schaffen? Paul Steffen aus der Engagementförderung über Dialogkultur und die Schwierigkeiten im Familien- und Freundeskreis über politische Themen zu streiten.
Was sind das bloß für Zeiten! Bevor ich Herausforderungen unserer Tage aufliste und damit aus Versehen zum Wegklicken einlade, unser freundlich und ernst gemeinter Appell: „Wir können damit irgendwie umgehen!“ Manche besser, manche schlechter und viele können Beistand, Hilfe, Freunde und Freundinnen dafür brauchen.
Wir leben wieder in Kriegszeiten, näher als früher gedacht. Wir haben eine Klimakrise und neben anderen Politikfeldern eine grassierende Armut und eine damit verbundene Verunsicherung in unserer Gesellschaft. Reicht mein Einkommen, um für mich und die Meinen vorzusorgen? Und wäre das nicht anspruchsvoll genug, gibt es einen mehr als bedenklichen Trend nach rechts, hin zu verführerisch einfachen Antworten: „Die Fremden sind Schuld oder ‚die in Berlin‘ oder die Muslime oder schlicht: die jeweils anderen.“
Zeiten für persönliche und gesellschaftliche Stärken
Krisenzeiten sind aber eben nicht nur Zeiten für Sündenböcke, Angst und Polarisierungen. Es sind auch Zeiten, in denen persönliche und gesellschaftliche Stärken glänzen können.
Haben wir Vertrauen und Selbstbewusstsein genug, um für unsere Belange zu kämpfen, um Solidarität einzufordern für Benachteiligte, auch gegen den Mainstream? Können wir in Gruppentreffen, in Kirche und in der Familie wirklich völlig andere Meinungen als legitime Positionen für eine Diskussion gelten lassen? Wie gehe ich um mit für mich schwer zu ertragenden Sätzen? Da ist Angst vor unversöhnlichem Streit nachvollziehbar und darf benannt werden. Auch die verstörende Perspektive auf ein mögliches Ende der Menschheit (was für ein unerträglicher Gedanke) wird nicht sofort zu angemessenem Anpacken und Aufbruch führen. Da ist es vielleicht erst mal naheliegender, sich vor den Fernseher zu setzen und „Bares für Rares“ zu gucken – als Auszeit, Pause, Luftholmoment. Das ist doch irgendwie logisch, oder nicht? Gesprächskultur für Schwieriges braucht Zeit, Räume und Übung.
In einen echten Dialog treten
Eine Anwältin für Erbrecht hielt kürzlich einen Vortrag, in dem sie davon sprach, wie sie aus der juristischen Materie in die Vermittlerinnenrolle wechselte. Es ginge bei Erbstreitigkeiten selten nur um Materielles. Erst mal sei es wichtig, den Schock eines Verlustes zu würdigen und sich einzugestehen „Ich will hier weglaufen, ich erstarre in Ohnmacht, ich bin wütend und will jetzt angreifen.“ Je nach Persönlichkeit und Vorgeschichte, die die nächsten Gedanken formen: Ungerechtigkeit? Enttäuschung? Ausgleich? Dann erst könne ein echter Dialog der Perspektiven stattfinden. Es brauche dafür als vertrauensbildende Maßnahme meist das „Ins-Gespräch-kommen“, um im Gespräch zu bleiben, um vielleicht wieder Empathie aufzubauen, nach Gemeinsamkeiten zu suchen und das Gegenüber mit ihren/seinen Gegenmeinungen in einen echten Dialog zu integrieren.
Und der echte – weil ergebnisoffene – Dialog ist manchmal eine unbefriedigende Zumutung, aber eine, die sich lohnt, sei es, dass wieder jemand sprachfähiger oder reflektierter wird und Ansichten offen ausgesprochen werden. Wo finden wir solche Dialogräume? Eine Supervisorin meinte dazu: „Wir alle sind dazu aufgerufen. Wir sollen doch selber Autor*innen unserer schönen Gespräche und Auseinandersetzungen sein – auch wenn’s mal raucht und nicht gut ausgeht. Sonst wären wir doch wieder Kinder, zum Zuhören verdonnert oder am Ende Opfer. Nein, wir müssen uns alle bewegen, alle Verantwortung übernehmen. Das ist Gesellschaft.“
Perspektiven
Dieser Text erschien zuerst in der Print-Veröffentlichung „Perspektiven“, Heft Nr. 34, herausgegeben von den beiden Kirchenkreisen der Evangelischen Kirche Hamburg (Fachstelle „ÄlterWerden“ im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein und Arbeitsstelle „Leben im Alter“ im Kirchenkreis Hamburg-Ost).