Am 3. August wird Hamburg wieder bunt, wenn beim Hamburg Pride die Trucks durch die Straßen ziehen und es Glitzer und Konfetti regnet. Mittendrin: Die Pastor*innen von st. moment, die Segen verteilen und Trauungen anbieten.
Begegnet man Pastor Jan Roßmanek an diesem Tag, dürften ihn wohl die wenigsten als Geistlichen einordnen, schließlich zeigt er zur CSD-Parade ziemlich viel Haut – und hat einen Kaugummiautomaten wie einen Rucksack angeschnallt. „Ich habe eine gute Klamotte für diese Veranstaltung an“, sagt er und lacht. „Das verwirrt manche auch, wir spielen damit, dass wir Kirchenleute sind, wir spielen mit Coolness … und auch ein bisschen mit Sexiness.“ Die Message dabei: Kirche ist hier bei euch und nicht gegen das, was ihr vielleicht glaubt. Im Gegenteil.
Queerness ist für manche Menschen auch 2024 noch immer ein heikles Thema, gerade in Verbindung mit Religion. Dabei sei den meisten oftmals gar nicht klar, dass die evangelische Kirche queere Menschen genauso unterstütze wie alle anderen, erklärt Pastorin Angelika Gogolin. Für sie selbst sei die Arbeit mit und auch die Trauung von queeren Paaren eine Selbstverständlichkeit. Doch: „Wenn es normal wäre, dann müssten wir ja nicht mehr darüber sprechen – und deswegen fühlt es sich für mich auch seltsam an, dass wir immer noch darüber sprechen. ‚Wir trauen auch queere Paare‘ ist ein komischer Satz – natürlich tun wir das!“
Kirche ist sensibler beim Thema Queerness geworden
Gleichzeitig werde ihr auch immer wieder bewusst, wie wichtig es für queere Menschen ist, sich repräsentiert und gesehen zu fühlen: „In der Verwaltung habe ich beispielsweise vorher gar nicht darüber nachgedacht. Auf meiner Webseite als Gemeindepastorin hatte ich lange Zeit nicht stehen, dass natürlich auch queere Paare zu mir kommen können, weil das für mich so selbstverständlich war.“
Man sei mit der Zeit sensibler geworden, ergänzt Jan Roßmanek. Themen wie Urkunden und auch Anmeldeformulare können Menschen triggern oder verletzen. „Das war gerade für mich ein wichtiger Prozess, ich komme aus einer Gegend, in der es tendenziell eher ‚Herr, Frau und Fräulein‘ gibt und hier sozialisiert zu werden und zu merken, was es darüber hinaus alles gibt, war für mich eine große Bereicherung.“
„Jedes Paar – queer oder nicht – ist willkommen“
Der CSD in Hamburg und der Welt ist mehr als nur eine bunte Party mit Glitzer und Gloria – er ist vor allem eine Demonstration für Menschenrechte, für Akzeptanz und ein friedvolles Miteinander. Und was demonstriert so etwas besser als eine spontane Hochzeit auf einem Truck während der Parade? Auch in diesem Jahr bietet st. moment Interessierten an, im Rahmen der Parade „Ja“ zueinander zu sagen. Dabei gebe es nur die Vorgabe, dass es sieben Minuten Sprechzeit gibt, erklärt die Pastorin.
Letztes Jahr stieg ein queeres Paar auf den Truck und ging vor den Augen der tausenden Teilnehmenden den Bund fürs Leben ein. „Natürlich könnte man diese Art der Hochzeit auch als politisches Statement verstehen, darum ging es den beiden aber nicht.“ Vor der Trauung hatte es ein langes Traugespräch gegeben und beide hätten es für gut befunden, auf dem Truck zu heiraten. „Jedes Paar – ob queer oder nicht – ist an diesem Tag willkommen.“ Der Ort sei so toll, weil man im kleinen Kreise heiraten und gleichzeitig mit tausenden Menschen feiern könne, so Jan Roßmanek. „Natürlich ist da auf der einen Seite eine Art ‚Eventisierung‘ des Ganzen – und trotzdem ist es ein ganz intimer Moment, ein kleiner Kreis, der die Liebe feiert und etwas Exemplarisches vorlebt: Zwei, die sich gefunden haben.“
Kreative Ideen hat jede Gemeinde – auch über den CSD hinaus
Nicht nur am CSD traut die evangelische Kirche queere Paare – und nicht nur st. moment kommt auf kreative Ideen, um mit den Menschen der Stadt in Kontakt zu treten. „Aktionen wie diese sind kein Alleinstellungsmerkmal von st. moment“, macht der Pastor klar. „Es gibt so viele Gemeinden in der Stadt, die rausgehen und solche Dinge genauso machen.“ Eine Klarstellung, die seine Kollegin unterstreicht: „Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass st. moment immer nur die kreativen Ideen hätte. Wir haben nur den Vorteil, dass wir nicht ortsgebunden sind und in der ganzen Stadt agieren können. Das ist bei einer Gemeinde natürlich etwas anderes.“
Ob nun eine spontane Trauung auf dem CSD-Truck, ein Paar Freundschaftsarmbänder oder andere kleine Goodies aus dem Kaugummiautomaten von Jan Roßmanek, oder auch ein Besuch in der Regenbogenkirche oder beim „Glitter and be gay!“-Konzert von Organist Tjark Pinne, der Werke von queeren Musiker*innen spielt – die evangelische Kirche in Hamburg bezieht klar Stellung beim Thema Queerness: Wenn man auch im Jahr 2024 noch nicht von einer „Normalität“ sprechen kann, zeigen Aktionen wie diese, dass bei der evangelischen Kirche alle willkommen sind – unabhängig von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität.