"Wohnt da ein König?", fragte neulich das Kind eines Bekannten von Tiedemann und zeigte auf die Turmspitze des eindrucksvollen Bauwerks neben der Horner Rennbahn. Der Gedanke liegt nahe, denn noch funkelt eine goldene Krone mit Kreuz in 44 Metern Höhe. Bald schon wird sie abgenommen, um ihren neuen Platz in der "Kirche ohne Turm" in Billstedt einzunehmen. Wenn dann "Allah" an der prominenten Stelle steht, ist die Umwandlung von der Kirche zur Moschee endgültig vollzogen.
Überwältigt von Offenheit und Gastfreundschaft
"Erst einmal war es ein Schock", erinnert sich Tiedemann an den Moment, als sie vom Verkauf des Kirchengebäudes an das Islamische Zentrum erfuhr. Gleichzeitig begann mit der offiziellen Bekanntgabe eine Veränderung, die ihr weitaus wichtiger war: "Wir kamen endlich wieder in das Gebäude hinein." Nach Jahren der Ungewissheit konnte sie nun trauern und von ihrer Kirche bewusst Abschied nehmen. Tiedemann sehnte sich nach Trost und bekam zu spüren, dass Al-Nour für sie und andere Betroffene da war. "Eigentlich haben wir ja gar keine Ansprüche mehr an das Gebäude. Aber sie nehmen uns mit unseren Gefühlen ernst."
Tiedemann wollte genau wissen, was das für Leute sind, die in ihre frühere Kirche einziehen würden. Mit ihrer "Glaubensgruppe" der Kirchengemeinde Hamburg-Horn entschied sie sich beim letzten Evangelischen Kirchentag spontan dazu, die Al-Nour-Gemeinde in ihrer Gebetsstätte aufzusuchen. Sie war überwältigt von der Offenheit und Gastfreundschaft der zukünftigen Nachbarn. Und sie war tief beschämt darüber, dass ihre muslimischen Bekannten gezwungen waren, sich zum Gebet in einer Tiefgarage zu treffen. Nach ihrem Besuch konnte sie nur zu gut verstehen, dass die Islamische Gemeinde dort raus wollte: "Ich gönn’ das Al-Nour von Herzen, dass sie dieses Gebäude mit seiner einmaligen Ausstrahlung für sich erwerben konnten."
Gemeinsam für den Stadtteil
"Mir ist wichtig, dass unser Stadtteil wieder neu belebt wird", sagt Tiedemann hoffnungsvoll. Sie ist überzeugt, dass die Al-Nour-Moschee für viele Menschen ein wichtiger Ort der Begegnung sein wird – ganz so wie in der Nachkriegzeit auch die Kapernaumkirche eine "Aufbau-Gemeinde" und Anlaufstelle für viele Hinzugezogene war. Selbstverständlich will sie sich weiterhin aktiv in Horn einbringen, und das gern auch Hand-in-Hand mit den neuen Nachbarn.
Man merkt, Ina Tiedemann hat Vertrauen gefasst: "Da ziehen total nette Menschen ein – ich freue mich auf sie." Sie macht es vor, wie ein gutes Miteinander zwischen Christen und Muslimen möglich ist.
Überblick
- 1961 wurde die Kapernaumkirche nach einem Entwurf von Otto Kind erbaut
- Ende 2002 wurde die Kapernaumkirche geschlossen und entwidmet
- 2005 wurde das Gebäude an eine Grundstücksgesellschaft verkauft
- Im November 2012 erwarb das Islamische Zentrum Al-Nour das unter Denkmalschutz stehende Kirchengebäude
- 2013 erhielten das Islamische Zentrum Al-Nour und die evangelische Gemeinde in Hamburg-Horn gemeinsam den Sozialpreis 2013 für die gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit
- Der Eröffnungstermin der Al-Nour-Moschee steht noch nicht fest