Den vergangenen Sommer erlebte Horst Gorski an der mecklenburgischen Ostsee, im Urlaubsörtchen Rerik. Der Propst machte Sabbat. Der Pastor predigte, beerdigte, sprach mit den Menschen, schlenderte über Strand und Klippen. Las und schrieb – unter anderem einen Blog im Internet. Sein Resümee: Neun Monate als Propst, drei Monate als Gemeindepastor zu arbeiten, wäre ideal – weil man da „einfach für Menschen da sein kann“.
Doch es kam anders: Zum 1. September tritt Horst Gorski ein neues Amt an. Eins, das auf den ersten Blick wenig mit Gemeinde zu tun hat – aber viel mit den Themen, in denen Kirche gefragt ist. Er wird das Amt der VELKD leiten, des Zusammenschlusses von acht lutherischen Landeskirchen. Damit verbunden ist die Aufgabe eines Vizepräsidenten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Leiters der Hauptabteilung „Öffentliche Verantwortung“, ebenfalls in Hannover.
Wie steht die Kirche zum Fracking?
In seiner neuen Stelle ist die Lust des promovierten Theologen Gorski am Denken, ist seine Neugier auch auf sozialethische Themen gefragt. Wie steht die evangelische Kirche zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr? Wie zur Sterbehilfe und zum Fracking? Sein Talent, Kompliziertes einfach und Abstraktes anschaulich zu fassen, kann er hier voll entfalten. „Am Ende ist es wichtig, Positionen so zu formulieren, dass sie die Menschen erreichen“, sagt er.
16 Jahre lang hat Gorski als Propst zunächst in Altona und dann auch in Blankenese gewirkt. Dort ist er aufgewachsen, in der Kirche am Markt wurde er getauft und konfirmiert. Jetzt schließt sich wieder ein Lebenskreis. Denn auch für die EKD in Hannover hat er schon mal gearbeitet, nach dem Vikariat, das sich an das Studium in Hamburg und Wien anschloss. Hamburg bedeutet ihm zu viel, als dass er der Stadt den Rücken kehren würde: Jüngst hat er eine Wohnung in Klein Flottbek bezogen.
Aktiv begleitet hat er auch die strukturellen Veränderungen der Kirche
Der Kontakt zu Menschen ist ihm wichtig, war es schon, als er noch Pastor in Wilhelmsburg und später in Iserbrook war. Als Propst besuchte er regelmäßig die Gemeinden. Half eine Woche in der Obdachlosentagesstätte „MAhLZEIT“ in der Altonaer Billrothstraße aus. Er knüpfte Verbindungen zu anderen Glaubensgemeinschaften. Der interreligiöse Dialog sei seit den Anschlägen vom 1. September 2001 schwieriger geworden , sagt Gorski: „Doch wir können auf die entstandenen Beziehungen bauen. Vielleicht hat sich der Dialog sogar vertieft.“
Aktiv begleitet hat er die großen strukturellen Veränderungen seiner Kirche. So etwa die Fusion der Hamburger Kirchenkreise, die im Jahr 2009 vollzogen und in seinen Augen „im Großen und Ganzen gelungen ist“. In seinem Konvent zum Beispiel, zu dem heute 45 Pastoren aus Altona und Blankenese gehören, spiele die Herkunft aus ehemals zwei Kirchenkreisen kaum noch eine Rolle: „Jede Gemeinde ist ein Mosaikstein in einer gemeinsamen Identität.“
Die neue Aufgabe ist für ihn ein "Geschenk"
Auch bei der Fusion der Nordelbischen Kirche mit den Landeskirchen von Mecklenburg und Pommern drei Jahre später wirkte er mit, unter anderem als Leiter des Theologischen Beirats. In dieser Funktion setzte er sich erfolgreich für die Gleichberechtigung homosexueller Pastoren ein: Seit März vergangenen Jahres dürfen schwule und lesbische Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, auch offiziell gemeinsam in Pfarrhäusern wohnen.
2008 trat Gorski als Kandidat für das Bischofsamt des Sprengels Schleswig und Holstein an. Dass nicht er in das Amt gewählt wurde, sondern der jetzige Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich, sieht er heute als Fügung. Seine neue Aufgabe sei ein Geschenk: „Ich freue mich, mit 58 Jahren noch mal aufbrechen zu dürfen.“
Horst Gorski über
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Während meiner Sabbatzeit in Rerik hatte ich auch Biendorf und Russow zu betreuen. Biendorf ist ein Flecken, in dem rund 100 Menschen leben. Wenn ich daran denke, sehe ich starke, lebenserfahrene ältere Damen vor mir, die regelmäßig die Gottesdienste besuchten. Besonders einen Sonntag werde ich nicht vergessen: Eine einzige Besucherin war gekommen! Sie bestand darauf, einen Gottesdienst zu feiern und keine Andacht, was ich ihr vorgeschlagen hatte. Wir waren zu fünft: das Kantorenehepaar, die Küsterin, sie und ich. In Biendorf habe ich auf besondere Weise gespürt, wie Menschen im Glauben verwurzelt sind und wie viel ihnen Kirche bedeutet. Zu meinem Abschied kamen zwölf Leute zur Kirche. Das ist, auf die Gemeinde gerechnet, eine bessere Quote als in Blankenese.
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Ich empfinde das Älterwerden als einen Freiheitsgewinn. Ich habe mich noch nie so frei gefühlt wie heute. Wie wird es erst in 20 Jahren sein! Ich habe noch sieben Jahre bis zu meinem Ruhestand. Ich muss nicht auf eine Wiederwahl schielen oder planen, wie es beruflich weitergeht. Kein Blatt vor den Mund zu nehmen, war mir immer wichtig. Heute tue ich das mit mehr Gelassenheit und Ruhe.
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Nicht selten habe ich über die vielen Sitzungen während meiner Zeit als Propst gestöhnt. Doch wir können nicht darauf verzichten. Unsere Arbeit fußt auf Diskussionen und demokratischen Entscheidungen. Wenn Sitzungen zielorientiert ablaufen und rechtzeitig enden, können sie sogar Spaß machen.
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Jesu Kreuzestod ist das Zentrum unseres Glaubens. Er bleibt ein Geheimnis, die Deutungen sind strittig. Ich bin in die theologische Auseinandersetzung mit einer Predigt aus dem Jahr 2006 geraten. Man schlug sie mir bei meiner Bewerbung für das Bischofsamt 2008 um die Ohren. Damals fühlte ich mich angegriffen. Heute denke ich: Wenn ich dazu beigetragen habe, dass über diese zentrale Frage nachgedacht und gestritten wurde, hatte das auch etwas Gutes.
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Ich habe vor mehr als 25 Jahren den Konvent schwuler und lesbischer Theologen in Nordelbien mit gegründet. Zum ersten Treffen lud ich vier Kolleginnen und Kollegen in das Wohnzimmer meines Pfarrhauses nach Iserbrook ein. Die Gleichberechtigung homosexueller Menschen und Pastoren ist für mich ein wichtiges Thema – doch nicht das einzige, mit dem ich identifiziert werden möchte. Ich bin dankbar, dass sich heute andere nach vorne stellen.
Beim Wort „Wohnzimmer“ denke ich aber noch an etwas anderes: Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber prägte den Begriff die „Verwohnzimmerung des Protestantismus“. Er meinte damit, dass unsere Gottesdienste manchmal nicht mehr den Anspruch haben, eine öffentliche Veranstaltung zu sein. Wir haben uns gemütlich eingerichtet mit denen, die wir kennen. Doch wir sind auch „Kirche für andere“, wie Dietrich Bonhoeffer gesagt hat. Daher halte ich es für wichtig, dass Pastorinnen und Pastoren immer so predigen, als stünden sie auf einem Marktplatz – damit sich jeder angesprochen fühlen kann. In unserer Kirchenverfassung heißt das Amt der Pastorinnen und Pastoren: „Amt der öffentlichen Verkündigung“. Das sollten wir ernst nehmen.