Menschenleer und stürmisch ist es auf der Plattform zwischen der alten und neuen Kunsthalle. Die langen, dunklen Locken von Joceline Berger, 33, flattern wild um ihr zartes Gesicht, als sie mir erklärt, wie sehr sie den weiten, offenen Blick von diesem erhöhten, fast erhabenen Standort liebt. „Hier befindet man sich im Mittelpunkt der Stadt und doch sind Konsum und Verkehr angenehm entrückt“, sagt die Studentin, die sich hier nach Besuchen in der Kunsthalle gern ausruht oder Fotos macht.
Zum Interview gehen wir wegen des Sturms aber doch lieber ins angrenzende Café Cube. Dort kann ich meine erste Frage loswerden: Liegen die wahren Wurzeln der Familie Berger am Nil statt an der Bille? „Nein“, sagt die 33jährige kopfschüttelnd und lacht, „meine Vorfahren stammen aus Thüringen und Ostpreußen.“
Früh fühlte sich die Studentin jedoch zur arabischen Kultur hingezogen: „Meine Kindergartenfreundin kam aus Tunesien und in ihrer Familie habe ich mich immer sehr wohl gefühlt.“ Heute spricht Joceline hocharabisch, hat von Oktober 2012 bis Oktober 2013 – also in der Phase des arabischen Frühlings – in Kairo gelebt und sich restlos in das Land am Nil verliebt.
Mit Fotos und Filmen Verständnis wecken
Fotos machen, Augenblicke festhalten, das ist für Joceline Berger künstlerischer Ausdruck und politisches Engagement zugleich. „Ich möchte verstehen, warum, wie, was passiert“, sagt die Studentin. In Kairo hat sie darum spontan einen Dokumentarfilm mit ihrer Fotokamera gedreht. „Eine Stadt wie Koshari“ lief bei den 10. Arabischen Kulturwochen 2013 im Hamburger Studio Kino.
In diesem Jahr lud sie 26 minderjährige Flüchtlinge, die ohne Eltern ins Land kamen, zu einem Foto-Projekt ein. Dazu besuchte Joceline Berger mehrere Wohngruppen in Hamburg und zog anschließend mit den jungen Leuten auf Motivsuche durch die Stadt. Aufgabe: "Zeige allen dein Bild von deiner neuen Heimat". Die Jugendlichen hätten die Fotosafaris sehr genossen, erinnert sich die Fotografin, die den Jungen und Mädchen wegen fehlender Fördermittel einfach ihre eigene Kamera in die Hand drückte.
Heraus kamen Aufnahmen vom wimmeligen Straßen-Treiben im Schanzenviertel, das die Jugendlichen an die historischen Viertel arabischer Städte erinnerte. Aber auch eher melancholische Bilder vom einsamen Elbstrand nahmen sie auf. Mit Unterstützung ihres Dozenten Mohammed Khalifa und der kirchlichen Jungen Akademie für Zukunftsfragen entstand daraus eine Ausstellung, die zuerst in der Universität und danach in der Blankeneser Kirche am Markt gezeigt wurde. Ab August ist ein Teil der Bilder noch mal beim Talentcampus der Jungen Volkshochschule zu sehen.
Ein bisschen Anerkennung kann viel verändern
Mostafa, ein Junge aus dem Foto-Projekt ist Joceline Berger von Anfang an aufgefallen. „Er sah oft traurig aus, man spürte, wie belastend es für ihn ist, als Flüchtling ohne schützende Großfamilie in einem fremden Land zu leben“, erzählt Joceline Berger. Als sie sich Mostafas facebook-Profil ansah, entdecke sie, dass er sich dort einen arabischen Namen gegeben hatte, der übersetzt „halbtot“ bedeutet.
Mostafa schaffte es jedoch, für seine Gefühle Bilder zu finden, die alle in besonderer Weise berührten. Bei der Preisverleihung erhielt er dafür den ersten Preis. „Diese Anerkennung hat ganz viel verändert“, freut sich die Projektleiterin, „Mostafa ist jetzt optimistischer und auf facebook trägt er nun stolz seinen vollen Namen Mohammed Mostafa.
Solche Geschichten sind es, die auch Joceline Berger neuen Antrieb geben. Eine weitere Reise an den geliebten Nil ist schon geplant, danach arbeitet sie beim Hamburger Talentcampus als Fotografin mit und im Herbst macht sie ihren Uni-Abschluss. Was dann kommt? „Auf keinen Fall eine trockene Tätigkeit in der Forschung“, sagt die junge Frau spontan. Als „Abenteurerin“, wie sie sich selbst nennt, träumt sie eher davon, für das National Geographic Magazin in den arabischen Ländern unterwegs zu sein. Auf der Suche nach neuen Blickwinkeln und Geschichten, die Menschen anrühren und gegenseitiges Mitgefühl wecken.