Immer wenn es möglich ist, legt Anja Blös, 47, auf dem Energiebunker in Wilhelmsburg eine Pause ein. Parkt ihr Rad, fährt mit dem Fahrstuhl nach oben. Trinkt einen Kaffee oder genießt einfach nur die Aussicht.
Seit September hat sie die Projektpfarrstelle „Strukturwandel“ in Wilhelmsburg inne, dem größten Hamburger Stadtteil mit seiner Vielfalt an Menschen. Nur etwa jeder Fünfte der rund 50.000 Bewohner gehört der evangelischen Kirche an. Mehr als zwei Drittel der Menschen haben einen Migrationshintergrund. „Wie gelingt das Zusammenleben?“, von dieser Frage lässt sich Anja Blös leiten.
Abschied von einer Kirche
Sie trifft sich mit Akteuren aus dem Stadtteil, vernetzt sich in den Gremien und Initiativen, ist Mitglied im christlich-muslimischen Dialogkreis, organisiert Feste. Und sie berät die beiden Gemeinden – mit bislang noch vier Kirchen.
Das wird sich in absehbarer Zeit ändern. Die Reiherstieg-Gemeinde hat sich dazu entschlossen, eine ihrer beiden Kirchen aufzugeben. Wann die Paul-Gerhardt-Kirche abgerissen werden soll und was mit der Fläche passiert, ist noch nicht entschieden. Blös arbeitet mit der Gemeinde aber schon jetzt daran, den Abschied zu gestalten: „Das Gebäude ist mit den Lebensgeschichten der Menschen verknüpft.“
Bei aller Trauer um das, was sich nicht mehr halten lässt – Blös liegt daran, Kirche „zukunftsfähig“ machen, die noch bleibenden Gebäude als Orte religiösen Lebens zu stärken.
Bei ihrer Arbeit schöpft sie auch aus eigener Erfahrung als Gemeindepastorin. Achteinhalb Jahre war sie in der Region Süderelbe für Finkenwerder und Moorburg zuständig. Schweren Herzens habe sie sich von dort verabschiedet – aber auch mit viel Lust auf die neue „urbane“ Aufgabe.
Sichtbares Zeichen für den Wandel
Ganz so quirlig wie in Buenos Aires, wo sie unter anderem Theologie studierte, geht es in Wilhelmsburg zwar nicht zu. Doch sie schwärmt von der Kreativszene, geht zum Theater ins Bürgerhaus oder in die Honigfabrik, genießt die Vielfalt an Restaurants.
Wilhelmsburg hat sich gemausert. Der Energiebunker, Blös’ Lieblingsort, ist ein sichtbares Zeichen für den Wandel des Stadtteils: Als ein Projekt der Internationalen Bauausstellung versorgt er rund 3.000 Haushalte mit Wärme und weitere 1.000 mit Strom.
Doch noch viele Baustellen sind offen: Die Arbeitslosigkeit liegt mit zehn Prozent weit über dem Hamburger Durchschnitt. Bildungsbewusste Eltern schicken ihre Kinder lieber anderswo zur Schule.
In der Erstaufnahme an der Dratelnstraße leben zurzeit 1500 Menschen, davon 800 in Zelten. Orte fehlen, wo sich Flüchtlinge außerhalb ihrer Unterkünfte treffen können. Anja Blös ist jedoch niemand, der zaudert. Sie hat Lust, in diesem „wilden Stadtlabor“ zu experimentieren: „Man muss gucken, was machbar ist und einfach anfangen.“