Interview zu Rassismus „Das Schweigen ist schmerzhaft“

Daniela Konrädi ist seit 1996 Pastorin – aktuell in Bergedorf.

Ein Jahr ist es her, dass der Afroamerikaner George Floyd von einem Polizisten in den USA ermordet wurde. Daraufhin formierten sich Proteste, deren Auswirkungen auch auf Deutschland ausstrahlten. Was ist davon geblieben ein Jahr nach den Geschehnissen? Daniela Konrädi, Pastorin in der Gemeinde Bergedorf, engagiert sich in der antirassistischen Arbeit und hat zuletzt ein Netzwerk von Black and People of Color (BPoC) in der evangelischen Kirche gegründet. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit, das Thema Rassismus und Kirche und ihre Wünsche für die Zukunft.

Frau Konrädi, was hat sich im letzten Jahr verändert?
Ich bin selbst BPoC oder Schwarze Deutsche und für mich persönlich ist das Thema natürlich nach wie vor sehr aktuell, weil ich mich mit alltäglichem Rassismus auseinandersetzen muss. Denn die Rassismuserfahrungen, die BPoC machen, sind nicht weniger geworden, nachdem es die Proteste gegen die Ermordung von George Floyd gab. Sondern ganz im Gegenteil, je mehr das Thema Rassismus in den Fokus gerät, desto stärker nehmen auch die Anfeindungen zu.

Und in der evangelischen Kirche?
In unserer Kirche ist seitdem vor allem über das Diakonische Werk Hamburg sehr viel antirassistische Arbeit gelaufen. Ich bin da sehr involviert und merke, wie engagiert die Mitarbeitenden im Diakonischen Werk, aber auch unserer Kirche, versuchen, das Thema nach wie vor zu platzieren und aufmerksam darauf zu machen.

Ich finde es großartig, dass die BPoC, die in unserer Kirche arbeiten, sich und mehr und mehr vernetzt haben. Und ihre Expertise und ihre Sicht auf die Dinge wirklich angefragt werden.

Die Zurückhaltung der evangelischen Kirche in der Debatte vor einem Jahr hat Landespastor Dirk Ahrens als ein mögliches gutes Zeichen gedeutet. Es gehe nicht um ein Strohfeuer und starke Demos, sondern um ein sehr grundsätzliches Befragen unseres eigenen Seins und Handelns. Haben Sie das Gefühl, dieses Hinterfragen findet nachhaltig statt?
Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Denn es kommt darauf an, wo wir uns befinden. Das Diakonische Werk Hamburg arbeitet intensiv an den antirassistischen Themen, die Gemeinden in der Stadt weniger, Gemeinden im ländlichen Raum leider gar nicht.

Unser Netzwerk hat in der vergangenen Woche das erste Mal in einem Pastorenkonvent (Mitte Bergedorf) das Thema Rassismus bearbeitet. Und ich hoffe, dass nun auch in den Gemeinden mehr Wert darauf gelegt wird, sich antirassistisch zu bilden und uns zu Antirassismus-Trainings oder dergleichen einzuladen.

Worum ging es im Pastorenkonvent?
Darum, dass das Thema Rassismus auch innerhalb unserer Kirche evident ist. Auch wenn sich die Kirche in Verlautbarungen und unterschiedlichen Papieren gegen Rassismus und rassistische Ressentiments ausgesprochen hat. Es gibt viele alltägliche rassistische Übergriffe in den Gemeinden, Mikroagressionen, die uns BPoC sehr zusetzen. Pastorinnen und Pastoren sollten darüber Bescheid wissen, dass Rassismus auch ein innergemeindliches Thema sein kann, auch wenn sie denken, dass es nicht vorkommt.

Das ist ja eines der großen Probleme in unserer Kirche, dass zwar die Kirchenleitung mit ihren Gremien und Mitarbeitenden betont, dass sie nicht rassistisch sein will und sich gegen Rassismus stellt, aber gleichzeitig ihre eigenen Probleme rassistischer Art nicht wahrnimmt oder wahrnehmen möchte. Wir BPoC gehen mit großer Sensibilität vor und möchten aufzeigen, dass wir alle in ein rassistisches System eingebunden sind und dass die Auswirkungen dieses Systems natürlich auch in Kirchengemeinden zu sehen und zu spüren sind. Es gibt rassistische Übergriffe, aber es fehlt häufig auch an Sensibilität, rassistische Übergriffe als solche wahrzunehmen und zu bearbeiten.

Wie ist es denn für Sie persönlich, dass Sie immer hochgradig sensibel vorgehen müssen, wenn Sie weißen Menschen Rassismus erklären?
Ich bin schon 55 Jahre alt und seit 1996 Pastorin. Aber ich erinnere mich, dass das mir als junge Pastorin schlaflose Nächte bereitet hat. Die Retraumatisierung ist relativ groß, wenn man anfängt, weißen Menschen zu erklären, was es bedeutet, rassistische Übergriffe zu erleiden, und es ist schmerzhaft, wenn man beginnt, gegen Rassismus innerhalb der eigenen kirchlichen Heimat anzugehen.

Treffen Sie da auf Widerstände?
Enorme Widerstände. Meistens spüre ich sie nicht direkt. Es gibt zwar Menschen in der Gemeinde, die sofort in Abwehrhaltung gehen und meinen, sie seien keine Rassisten und deswegen könnten sie auch keine rassistischen Übergriffe begehen. Aber die andere Reaktion ist Schweigen. Und das Schweigen ist schmerzhaft. Es macht das Problem fast unsichtbar, wie ausradiert. Es führt bei vielen BPoC dazu, dass sie sich jedes Mal wieder überwinden müssen, Rassismus zu benennen. Aber es ist so notwendig darüber zu sprechen, denn nur dadurch kann man überhaupt Veränderung herbeiführen.

Diese Vernetzung unter BPoC, die Sie angesprochen haben, wie findet diese statt?
Das habe ich ins Leben gerufen. Wir sind etwa 10 bis 15 BPoC. Aus dem Diakonischen Werk, Pastorinnen und Pastoren, aber auch andere Mitarbeitende in Kirche.

Das Netzwerk ist gedacht als eine sich weiter entwickelnde Gruppe, die sich regelmäßig trifft. Zum gegenseitigen Empowerment. Vor allem ist es aber ein geschützter Raum, in dem BPoC ihre Erfahrungen austauschen können. Darüber hinaus planen wir zusammen mit weißen Unterstützenden einen Fachtag zum Thema „Rassismus ist Sünde“, in dem es um die Arbeit gegen Rassismus innerhalb der praktischen kirchlichen Arbeit gehen soll. Wir warten darauf, in Konvente und Kirchenkreise eingeladen zu werden.

Was empfehlen Sie einzelnen Gemeinden und in der Kirche agierenden Menschen, die rassismuskritisches Denken und Handeln in ihre Arbeit und ihren Alltag integrieren wollen?
Als allererstes ist es gut, Menschen wie mich anzufragen für ein Antirassismus-Training, für den Kirchengemeinderat, für die Mitarbeitenden in meiner Gemeinde oder für das Kita-Team etc. Dann natürlich, mehr Menschen, die BPoC sind, einzustellen, BPoC bewusst einzuladen, sich zu bewerben.

Mehr Repräsentation ist wichtig …
Ja, es gibt sehr wenig Schwarze Mitarbeitende in den Gemeinden. Wir haben keine Diakone und ganz wenige Pastorinnen und Pastoren, die BPoC sind. Unsere Kirche muss etwas tun, damit die Landschaft diverser wird.
Dass es so wenig BPoC in den Gemeinden gibt, liegt auch daran, dass sie innerhalb unserer Kirche keine geschützten Räume haben. Es sollte geschützte Räume geben, in denen diese Gruppe vorkommen kann und in denen sie ihre Spiritualität leben kann. Dann würden sie sich sicherlich wohler und aufgehobener fühlen.

Wie Sie ja schon sagten, sind die Fragen rund um Rassismus, oft sehr persönlich. Auch für Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft geht es ja letztendlich darum, das eigene Handeln zu hinterfragen …
Ich wünsche mir schon, dass die Kirche, Kirchenleitung, Pröpste sowie Pastoren, beginnen, sich dem Thema zu öffnen. Sie müssen sich kritisch damit auseinandersetzen, an welchen Faktoren es liegt, dass BPoC sich nicht integriert, sondern eher ausgegrenzt fühlen. Das heißt eben auch, dass die Kirche sich aus einer antirassistischen Perspektive heraus mit der Kolonial- und Missionsgeschichte beschäftigen muss. Man kann nicht stets das bis dato weitergegebene Wissen tradieren. Man muss sich mit der Theologie in Folge der aufklärerischen Philosophie auseinandersetzen. Die Aufklärung hat Schwarze Menschen als nicht gleichwertig angesehen. Auch wenn es Menschen wie Dietrich Bonnhoeffer gab, der ganz bewusst nach New York in die Schwarzen Gemeinden ging, um sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet, wenn das Evangelium von Schwarzen Menschen gepredigt wird.

Es ist also auch ein sehr grundsätzliches Thema?
Ich finde schon, und die BPoCs in Kirche werden mir da zustimmen. Aber die Einsicht dafür ist insgesamt noch nicht so stark. Obwohl wir in diesem Interkulturellen Öffnungsprozess sind, in dem ja auch angemahnt wurde, sich damit auseinanderzusetzen. Der Schritt von „Ich beschäftige mich mit Rassismus“ bis hin zu „Ich sehe ein, dass ich in der Kirche Strukturen habe, die dazu führen, dass sich Menschen ausgegrenzt fühlen“, der ist noch nicht getan.
 

Welche Rolle sollte die evangelische Kirche Ihrer Meinung nach im Diskurs um Rassismuskritik einnehmen?
Die Kirche müsste sich sozusagen gemeinsam mit Gesellschaft auf den Weg machen, die rassistischen Ressentiments innerhalb ihres eigenen Systems zu bearbeiten. Und dazu gehören große Themen wie die berufliche Eingliederung von BPoC, der berufliche Aufstieg von BPoC, aber auch die Anerkennung von Abschlüssen. Es sind Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Daher rührt auch die Zurückhaltung, denke ich. Denn in dem Moment, wo sich Kirche entscheidet, sich mit ihren eigenen rassistischen Verwicklungen zu beschäftigen, ist sie gleichzeitig gefordert, diese auch zu verändern –und das würde eine relativ große Umwälzung zur Folge haben.

Welche Entwicklungen erhoffen Sie sich? Sagen wir, in naher Zukunft, im nächsten Jahr …?
Ich würde mich freuen, wenn ich aus vielen Kirchenkreisen und Gemeinden Anfragen bekomme, ob ich ihnen helfen könnte, diesen antirassistischen Weg zu gehen. Ich würde mich auch freuen, wenn mehr BPoCs in unserer Kirche eingestellt werden und diese Empowerment-Gruppe, die wir gegründet haben, sich vergrößert. Wenn wir uns darin mehr stärken können, weil es mehr BPoC werden, die innerhalb unserer Kirche arbeiten. Ich würde mich freuen, wenn der Prozess der Interkulturellen Öffnung weitergeführt wird und verstärkt mit uns BPoCs zusammengearbeitet wird, vielleicht Synodenvorlagen oder dergleichen erarbeitet werden, die die evangelische Kirche wirklich auf diesen antirassistischen Weg bringen.


Pastorin Daniela Konrädi ist zu erreichen unter 

daniela.konraedi@st-michael-bergedorf.de