Fröhliche, beschwipste oder bereits betrunkene Männer ziehen um die Alster oder an der Elbe entlang. Sie singen, hören laute Musik und ziehen Bollerwagen hinter sich her. Und das am helllichten Tag. Vorzugsweise bei schönstem Sonnenschein. Wie ein nachgeholter Junggesellenabschied muten diese Prozessionen an. Nur das Feilbieten fehlt.
Jedes Jahr, 40 Tage nach Ostern, ist es wieder so weit: Es ist Vatertag. In meiner Erinnerung ist er immer sonnig. Als Kinder zogen mein Bruder und ich an diesem Tag singend durch die Stadt. Mit scheppernden Saftflaschen im Leiterwagen und großen Hüten auf dem Kopf. Ganz allein. Wir empfanden es als große Freiheit. Unsere Eltern machten sich keine Sorgen, dass solch auffällig trällernde Kinder spurlos verschwinden könnten.
40 Tage nach Ostern, so erzählt die Bibel, ereignete sich die Himmelfahrt Jesu. 40 Tage nach seiner Auferstehung ist Jesus den Jüngern in leiblicher Gestalt erschienen. Er sprach zu ihnen und bereitete sie darauf vor, selbstständig zu werden. Das war das Wichtigste: dass die Botschaft Jesu nicht vom Erdboden verschwände mit seiner Himmelfahrt. Jesu Freunde mussten lernen, eigenständig zu predigen und umherzuziehen. Mal laut singend, mal leise betend, immer sichtbar für die Mitmenschen. Und natürlich nicht nur einmal im Jahr, zu Himmelfahrt. Und auch nicht sturzbetrunken. Fröhlich hingegen gern.
Schließlich führte Jesus seine Freunde zu einem Berg, segnete sie und "fuhr auf gen Himmel". Er verschwand in den Wolken – und weg war er. Die Freunde blieben einigermaßen verdattert zurück und starrten wohl noch eine Weile nach oben. Dann beteten sie zu Jesus und gingen frohen Mutes zurück nach Jerusalem: die erste Männerprozession an diesem Tag. Diesmal waren die elf nicht am Boden zerstört wie nach der Kreuzigung Jesu. Diesmal war Jesus ja nicht gestorben. Sondern der Sohn war zurückgekehrt zu seinem Vater im Himmel. Himmelfahrt ist Jesu Vatertag.
Gotteshäuser gelten als Pforten zum Himmel und als Türen zu Gott
Solche Geschichten kannten die ersten Christen schon vorher. Vom Propheten Elia wird erzählt, er sei nicht gestorben, sondern in einem Wagen direkt in den Himmel aufgefahren. Auch den Römern war die Vorstellung nicht fremd. Ihr Stadtgründer Romulus soll von einer Wolke verhüllt gen Himmel gehoben worden sein. Daraufhin verehrten ihn die Römer als Gott. Und allem Verschwinden der Gründerväter zum Trotz: Die Zukunft winkt verheißungsvoll. Rom wird zur Weltmacht, das Christentum auch. Der Wanderprediger, den die Römer gekreuzigt haben, ist "auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes, zu richten die Lebenden und die Toten". Die Christen bekennen nun: Jesus Christus ist der alleinige Herr über die Welt. So etwas als Minderheit zu behaupten ist politisch brisant, ja, grenzt an politischen Widerstand. Galt doch der Kaiser in Rom als der absolute Herrscher, den es nicht nur zu respektieren, sondern zu verehren galt. Jesus verschwindet in den Wolken und ist im Himmel. Dort thront, laut Altem Testament, Gott. Der Segen, kommt von oben. Zugleich gelten Gotteshäuser als Pforten zum Himmel, Türen zu Gott. Hier spüren viele Menschen besonders intensiv Gottes Nähe.
Der Himmel ist in der Bibel ein schillernder Begriff. Er steht für das Firmament, hat Säulen und Fenster, ist wie ein Zelt aufgespannt. Zugleich ist der Himmel der Ort uneingeschränkter Gottesnähe. Wo Gott ist, da ist der Himmel. Für Normalsterbliche blieb der Himmel verschlossen. Nur Auserwählte wie Mose oder Elia gelangten hinein. Nun also auch Jesus Christus.
Das Besondere an ihm: Er kehrt zurück zu Gott. Als Gottes Sohn kam er hilflos und klein auf die Erde, als junger Mann ließ er sich verspotten, geißeln und hinrichten. Himmelfahrt erzählt das glorreiche Ende der Weihnachtsgeschichte. Glorreich nicht, weil Gottes Sohn es geschafft hat, Gottes Sohn zu bleiben. Das war irgendwie zu erwarten. Glorreich, weil er allen, die an ihn glauben, den Himmel geöffnet hat. Denn wir alle dürfen beten: "Vater unser im Himmel". Gott nahe zu sein ist kein Privileg einzelner Propheten mehr.
Der Himmel ist kein statischer Ort, nicht "oben" oder "über den Wolken". Der Himmel ist da, wo Gott ist. Solange Jesus mit seinen Freunden umherzog, schwebten sie quasi "im 7. Himmel". Allerdings nur, wenn sie in Jesu unmittelbarer Nähe waren.
Mit seiner Himmelfahrt scheint Jesus zunächst weit weg. Doch er verspricht ihnen: "Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und meine Zeugen sein." Das bedeutet nicht weniger als: "Auch wenn ihr mich nicht mehr seht, bin ich immer bei euch. Davon sollt ihr allen erzählen." Und plötzlich ist der Himmel ganz nah. Solange Jesus auf der Erde umherlief, war er nur den Menschen nah, die ihn trafen. Allen anderen war er fern. Jetzt spricht er zwar mit niemandem mehr von Angesicht zu Angesicht. Dafür ist er für alle gleichermaßen nah: im Gebet, im Gottesdienst und im Abendmahl.
Nachdem Jesu fort war, wurden die Jünger zu Lehrern und Glaubensvätern
Himmelfahrt bedeutet für die Jünger: "Steht auf eigenen Füßen und klärt, wer ihr sein wollt." Die Jünger werden nun selbst zu Lehrenden und Glaubensvätern. Was sie von Jesus erfahren haben, geben sie weiter. Sie predigen in Jesu Namen und übernehmen Verantwortung für ihr Reden und Handeln. Himmelfahrt macht die einstigen Schüler zu Lehrern, die Söhne zu Vätern.
"Wer willst du für deine Freunde und die Welt sein?" Himmelfahrt richtet unseren Blick zurück vom Himmel auf die Erde und unsere Mitmenschen. "Da berühren sich Himmel und Erde, wo Friede werde unter uns", heißt es in einem Lied. Es macht Spaß, das fröhlich zu feiern unter offenem Himmel. Gern auch friedlich wandernd und ausgelassen singend. Väter unter sich, Mütter unter sich, Kinder unter sich oder einfach alle zusammen im Gottesdienst.