Der Theologe arbeitet an einem Ort, an dem die meisten Täter evangelisch waren: Die SS-Kommandeure und die Aufseher. Der Bäcker aus dem Ort, der das Brot für die Häftlinge auf Geheiß mit zehn Prozent Sägemehl versetzte.
Billerbeck hat sich mit dem Leid der Menschen vertraut gemacht, die im KZ Neuengamme arbeiteten und verhungerten. Die hingerichtet wurden und an Entkräftung starben. Die Widerstand leisteten. Leise, in Gebeten. Oder in Form von selbstgenähter Unterwäsche, die eigentlich verboten war.
Und auch die Täter hat er nicht ausgeklammert. „Die Kirche war damals auf ihrer Seite“, sagt Billerbeck. Heute finanzieren die beiden Hamburger Kirchenkreise seine Stelle.
1938 wurde das Konzentrationslager Neuengamme vor den Toren Hamburgs errichtet. Bis zu seiner Schließung 1945 lebten rund 100 000 Menschen hier und in den etwa 85 Außenlagern.
Die meisten waren politische Häftlinge. Sie kamen größtenteils aus Polen und der Staaten der ehemaligen Sowjetunion. 42 900 Häftlinge starben. Doch nur 23 000 Verstorbene sind bislang namentlich bekannt. Von den anderen bleiben Erinnerungen und eine Nummer.
Felder aus Schutt erinnern an die Baracken
Billerbeck führt Konfirmanden und Gemeindegruppen über das 57 Hektar große Gelände. Er fährt in die Gemeinden und hält Vorträge. Er pflegt Kontakte zu anderen Gedenkstätten und leitet die Ehrenamtlichen im Arbeitskreis der Gedenkstätte an. Er ist der dritte Pastor auf der Stelle, die 1992 geschaffen wurde, auf Initiative des damaligen Gemeindepastors von Neuengamme.
Wer mit Billerbeck über das Gelände geht, ist beeindruckt von seinem Detailwissen. Bis 2005 wurden Teile des Geländes als Haftanstalt genutzt. Der Schutt der abgerissenen Gebäude liegt heute auf dem Boden. Draht hält ihn in Feldern zusammen, wie Fundamente. Sie erinnern an die Holzbaracken für die Häftlinge.
Manchmal kann Billerbeck den Blick aus dem Fenster nicht ertragen. „Dann bin ich froh, wenn ich nach Hause fahren kann“, sagt er. Aber das ist selten. Für ihn ist die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ein Lebensthema.
Beim Gedenkkonzert für die Verstorbenen an diesem Sonntag werden wieder Namen verlesen – in Erinnerung aber auch als Mahnung an eine Kultur des Friedens und der Verständigung. Er findet es positiv, dass Jugendliche heute weniger belastet mit der Vergangenheit umgehen: „Sie ist für sie Teil der Geschichte und muss nicht verdrängt werden.“ Problematisch werde dieser Umgang jedoch, wenn es ums Geld gehe: „Wir brauchen Gedenkstätten wie Neuengamme.“
Der ökumenische Arbeitskreis Kirchliche Gedenkstättenarbeit lädt jeden Sonntag um 12 Uhr und um 14.30 Uhr zu Führungen über das Gelände ein
Treffpunkt: Plattenhaus, nähe Mahnmahl / Klinkerwerk
Gedenkkonzert für die Verstorbenen von Neuengamme
Zeit: Sontag, 22. Juni, 18 Uhr
Ort: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, ehemaliges Klinkerwerk, Westflügel
Das Programm:
Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem
Johann Sebastian Bach: Kantate „Bleib und treu, denn es will Abend werden“
Mitwirkende:
Kantorei St. Johannis Neuengamme
Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg
Ilse-Christine Otto, Sopran | Juliane Sandberger, Alt | Knut Schoch,Tenor | Joachim Gebhard Bass
Leitung: Prof. Lutz Michael Harder