Erfreuliche Ergebnisse, das sieht auch Martin Villeneuve, Geschäftsführer der Hamburger Angehörigenschule so. Allerdings solle man aus der Studie nicht rückfolgern, dass alle, die bereit sind zu pflegen, dies auch tatsächlich in Zukunft tun werden. „Es hapert an vielen Faktoren, zum Beispiel der Vereinbarkeit von Familie, Job und Pflege“, sagt er.
Die Hamburger Angehörigenschule im Verbund der Diakonie Hamburg bietet individuelle Beratung und Schulung sowie Gruppenpflegekurse für pflegende/sorgende Angehörige, Nahestehende und ehrenamtliche Helfer an. Zu den Teilnehmenden zählen Menschen jeden Alters. Besonders bei den jüngeren sei es jedoch auffällig, dass viele von ihnen die Pflege übernehmen, aber keine Lobby haben, so Villeneuve.
Viele Enkel pflegen ihre Großeltern
Die aktuelle Umfrage ergab: Ein Viertel der jungen Menschen hat bereits Pflegeerfahrungen gesammelt, bei über der Hälfte von ihnen war die zu pflegende Person die Großmutter oder der Großvater.
Auch die Angehörigenschule unterstützt viele Enkel, die sich um ihre Großeltern kümmern. Darüber hinaus aber auch viele LebenspartnerInnen, andere Angehörige und Nahstehende wie Nachbarn. Viele kämen allerdings erst, wenn der Pflegefall tatsächlich eingetreten ist. Nach Villeneuve zu spät. Er setzt sich im Namen der Angehörigenschule deshalb für eine kostenlose präventive und proaktive Pflegeberatung ein.
Es sei wichtig, dass potenziell pflegende Angehörige früh Unterstützung bekommen, um sich später nicht überfordert zu fühlen. Bisher dürfen Pflegekassen nur aktiv beraten, wenn Pflegende auf sie zukommen. Auch die Hamburger Angehörigenschule kann wegen mangelnder finanzieller Unterstützung vom Staat bisher nicht so intensiv und begleitend beraten, wie es wünschenswert wäre, so Villenueve.
Tabuthema auf mehreren Ebenen
„Pflege und Hilfsbedürftigkeit sind ein Tabuthema, das stigmatisiert wird“, sagt Villeneuve. Es werde zum Beispiel bei der Arbeit häufig nicht darüber gesprochen, wenn jemand Verpflichtungen hat wegen eines pflegebedürftigen Angehörigen. Aber auch der Staat thematisiere die Pflege zu wenig.
75 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden in Deutschland von Angehörigen gepflegt. Im Hinblick darauf, dass sich die Anzahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahre 2050 noch verdoppeln wird und Pflegedienste schon jetzt die Fachkräfte fehlen, ist das Thema Pflege für Villeneuve eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft.
Komplette Reform der Pflegeversicherung gefordert
Der Geschäftsführer der Hamburger Angehörigenschule fordert deshalb eine komplette Reform der Pflegeversicherung, dass der Staat Verdienstausfälle pflegender Angehöriger nicht nur zum Teil übernimmt, eine einfachere Beantragung und mehr digitale Zugänge. Außerdem müsse es mehr Lotsinnen und Lotsen geben, die im Pflegefall von Anfang an kostenlos beraten können, auch was finanzielle Leistungsansprüche anbelangt.
Genau wie die negativen Aspekte der Pflege, würden aber auch die positiven zu selten thematisiert, sagt Villeneuve. „Wenn sie aus einer Pflicht heraus getan wird, sind es schlechte Voraussetzungen. Gute Voraussetzungen sind es, wenn sie aus Liebe, Verbundenheit und Nächstenliebe geschieht. In diesen Fällen werde Pflege nicht nur als Belastung wahrgenommen, sondern als Bereicherung, die gut und lang besteht. „Pflege ist dann auch eine positive Erfahrung, in der man eine ganz neue Qualität der Beziehung zueinander erleben kann.“
Die Hamburger Angehörigenschule berät und schult seit 2010 pflegende Angehörige im Verbund der Diakonie Hamburg. Pro Jahr sind rund 250 Grund- und Spezial-Gruppenkurse in ganz Hamburg im Programm. Erfahrene Pflege-Expertinnen und -Experten vermitteln praxisrelevantes Wissen, Methoden und Fertigkeiten zur Erleichterung des Pflege-Alltags. Individuelle Beratungen und Schulungen zu Hause oder in der Klinik sind ebenfalls möglich. Diese sind auch kostenfrei, wenn eine Pflegestufe beantragt wurde. Mehr unter: hamburgerangehoerigenschule.de
Für die Untersuchung im Rahmen des DAK-Pflegereports befragte das Institut für Demoskopie Allensbach zwischen dem 19. und 30. März per Online-Interview im gesamten Bundesgebiet insgesamt 1.310 jüngere Männer und Frauen im Alter zwischen 16 und 39 Jahren, darunter 443 Personen, die derzeit Angehörige pflegen oder unterstützen beziehungsweise das in den letzten zehn Jahren getan haben.