Was muss Kirche in der Stadt leisten?
Quartiere und Szenen verändern sich rasant. Pastorinnen und Pastoren müssen ihr Umfeld genau kennen und neue Antworten für Spannungen und Konflikte finden. Wir sind nicht nur für die Menschen da, die sich in ihrer Gemeinde zuhause fühlen. Sondern auch für die, die mit Kirche erst einmal nichts anfangen können – aber zum Beispiel unsere diakonischen Angebote nachfragen und brauchen.
Wie sehen die Herausforderungen konkret aus?
Die vielen runden Tische und Hilfsangebote für Flüchtlinge zeigen beispielhaft, welch wichtige Rolle die Kirche vor Ort spielt. Hier kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen, diskutieren und planen Lösungen für ihren Stadtteil. Wichtig ist uns die Beteiligung der Nachbarn an der Entwicklung ihres Quartiers. Kirchliches Engagement richtet sich daher nach dem jeweiligen Kontext.
Und doch muss Kirche auch als Ganzes erkennbar werden.
Die Hamburger Pröpste besprechen sich regelmäßig mit Bischöfin Kirsten Fehrs. Dabei geht es um gesamtstädtische Aufgaben. Das Seelsorge- und Beratungszentrum an der Hauptkirche St. Petri oder die Beratungsstelle Fluchtpunkt in Altona sind zwei Beispiele. Die Kirchenkreise arbeiten gemeinsam für die ganze Stadt.
Welche Rolle spielt Kirche bei der Stadtentwicklung?
Die Partizipation von Bürgern bei Bauprojekten wird immer wichtiger. Bei den Esso-Hochhäusern auf St. Pauli oder der Neuen Mitte Altona ist auch die Kirche vor Ort gefragt. Ein gutes Beispiel ist die Hafencity. Dort ist die Hauptkirche St. Katharinen gemeinsam mit dem Ökumenischen Forum ein wichtiger Ansprechpartner. Wir haben uns etwa für die Barrierefreiheit im Stadtteil eingesetzt und dafür, dass Kinder Platz zum Spielen und Toben haben. Im August konnten wir durch eine erfolgreiche Spendeneinwerbung zusammen mit Anwohnern einen neuen Bolzplatz einweihen.
Was ist der Auftrag von Kirche in Städten allgemein?
Unser Auftrag ist, das ,Beste der Stadt zu suchen’, wie es in der Bibel heißt. Das bedeutet, dass Kirche sich zum Anwalt von Gruppen oder Themen macht. Etwa, wenn es um Flüchtlinge geht, um sozialverträgliche Mieten, die Schaffung von Wohnraum, den Umweltschutz, den Ausbau von Radwegen. Wir treten für ein gutes Miteinander von Generationen, Kulturen und Religionen ein – und wenden uns gegen soziale Spaltung.
In der EKD-Untersuchung „Gott in der Stadt“ heißt es: „Kirchen markieren Zentralpunkte in der Stadt“. Wie passt das zusammen damit, dass der Kirchenkreis Hamburg-Ost jede dritte Kirche aufgeben will?
Alle Möglichkeiten, eine Kirche zu halten werden geprüft. Das sind Prozesse, die sich über Jahre hinziehen. Wir haben einen zu hohen Bestand an kirchlichen Gebäuden im Kirchenkreis. Der hohe Kostenaufwand für die Gebäude steht auf Dauer in keinem Verhältnis zu dem, was wir in Menschen investieren möchten.
Die Entwidmung, vielleicht sogar der Abriss einer Kirche ist schmerzhaft – und irreversibel.
Die Menschen vor Ort haben eine starke Bindung zu einem Gebäude – das ist auch gut so! Wenn sich eine Gemeinde entscheidet, eine Kirche aufzugeben, ist das ein Abschiedsprozess, den wir sorgfältig begleiten. In einem weiteren Schritt entwickeln wir eine Vision von dem zukünftigen Ort der Gemeinde.
Wie kann die aussehen?
Das ist die Vision einer lebendigen Kirche, von Räumen, die funktionieren, die genutzt werden. Es ist besser, weniger Standorte zu haben, die vital sind, als viele leere Kirchen. Die Erfahrung zeigt: Wenn der Trauerprozess abgeschlossen ist, bedeutet die Aufgabe einer Kirche für die Gemeinde auch, dass Belastungen wegfallen. Herz und Geist sind wieder frei für Neues. Die Kirche wird zu einem Kraftort – und Motor für Entwicklung in der Stadt.
„Die Kirche als Provokateur einer gerechten Gesellschaft“
Vortrag von Landesbischof Ralf Meister, Hannover
Zeit: Donnerstag, 10. September, 19.30 Uhr
Ort: Hauptkirche St. Katharinen, Speicherstadt
Einführung: Hauptpastorin Pröpstin Ulrike Murmann