Erklärungen, dass diese Entwicklung unter anderem auf die veränderte Erhebung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge zurückzuführen sei, könnten „nicht wirklich beruhigen“, sagte Melzer im Gespräch mit kirche-hamburg.de. Eher müssten sie „aufrütteln“. Seit Beginn des Jahres 2015 wird Kirchensteuer auf Kapitalerträge automatisch von den Banken an den Fiskus weitergeleitet. Das hatten die Banken 2014 ihren Kunden per Post angekündigt.
Offensichtlich sei für die Ausgetretenen die „Bindewirkung“ der kirchlichen Arbeit nicht stark genug gewesen. „Eine veränderte Steuererhebung, die für ehrliche Steuerzahler keinen Cent mehr kostet, reicht offensichtlich aus, um die Entscheidung über einen Kirchenaustritt zu treffen“, bedauerte Melzer.
Die jüngst veröffentlichten Zahlen verstehe er jedoch auch als Auftrag, so der Hamburger Propst. Kirche müsse noch stärker als bisher deutlich machen, was sie für die Menschen leiste.
Wichtige gesellschaftliche Arbeit
Dabei gehe es nicht nur um die Begleitung in existentiellen Situationen wie Taufe, Trauung und Beerdigung, sondern auch um Unterstützungen in sozialen Notlagen und eine umfangreiche Bildungsarbeit. „Hier leisten Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen eine hervorragende Arbeit.“
Auch sei Kirche da präsent, wo Menschen in Einrichtungen Unterstützung brauchen. So etwa in der ambulanten und stationären Pflege älterer Menschen oder in den über 170 evangelischen Kindergärten in Hamburg und Umgebung. Mehr als 16.000 Menschen engagierten sich hier zudem ehrenamtlich in der Kirche. „Gemeinsam schaffen wir damit einen unschätzbaren gesellschaftlichen Wert“, so Melzer.
Jeder dritte Hamburger gehört der evangelischen Kirche an. Melzer: “Ich würde mich freuen, wenn wir die Diskussion mit kritischen Menschen auf der inhaltlichen Ebene führen könnten und nicht ‚Steuertechnik’ zum Kirchenaustritt führt.“
Größter Mitgliederverlust seit Jahren
Die Nordkirche, die das Gebiet Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern umfasst, hat im vergangenen Jahr den größten Mitgliederverlust seit Jahren hinnehmen müssen. Ende 2014 zählte sie 2,146 Millionen Mitglieder, wie aus einer jetzt bekannt gewordenen amtlichen Statistik hervorgeht. Ein Jahr zuvor waren es noch 2,193 Millionen evangelische Christen. Unterm Strich sind es genau 47.481 Menschen weniger.
Bei diesem Verlust spielt die Bevölkerungsentwicklung mit mehr Sterbefällen als Geburten eine Rolle. Das bedeutet: Es sterben deutlich mehr Kirchenmitglieder als Kinder getauft werden. Doch auch die Zahl der Kirchenaustritte dürfte ein wesentlicher Faktor sein. Die offiziellen Austrittszahlen für die Nordkirche sollen im Juli veröffentlicht werden.
Die Statistik aus dem Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein gibt jedoch schon jetzt einen deutlichen Hinweis: Im vergangenen Jahr kehrten 5.305 evangelische Christen ihrer Kirche den Rücken, ein Jahr zuvor waren es 3.676 und im Zeitraum 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012 insgesamt 2.805 Menschen.