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An jedem Abend fährt er durch die Stadt und sorgt dafür, dass alle Menschen auf der Straße satt werden können – der Mitternachtsbus der Diakonie. Er versorgt seit 21 Jahren Obdachlose und andere Bedürftige mit dem Nötigsten: Etwas zu Essen, Getränke, Decken und Schlafsäcke. Montag bis Sonntag, auch an Feiertagen. Möglich machen das neben Spendern auch 130 Ehrenamtliche. Uta L., Rüdiger Grohte und Renate Nötzel sind drei von ihnen.
Um 19 Uhr beginnt der Abend für die freiwilligen Helfer. Die Lebensmittel sammelt das Team vor der Tour bei zwei Bäckereifilialen in der Innenstadt ein. Kistenweise werden nicht verkaufte Backwaren in den Transporter geladen. Die nicht verkaufte Ware von zwei Filialen reicht aus, um für bis zu 200 Menschen ein Abendbrot zu bereiten. Rüdiger Grohte lädt die Kisten mit Laugengebäck, belegten Brötchen und Berlinern in den Bus. „Auf eine schöne Tour!“, ruft er anschließend seinem Team zu und gibt Gas.
Der 65-Jährige war früher Berufsfeuerwehrmann. Ein Leben lang hat er anderen Menschen geholfen, auch noch nach Feierabend. Und warum fährt er heute den Mitternachtsbus, statt den Abend mit seiner Familie zu verbringen? „Es gibt ja auch was zurück“, sagt er. „Wenn man nette Gespräche mit den Gästen hat, dann macht das Spaß!“ Von der Dankbarkeit, die manche Gäste den Ehrenamtlichen im Laufe des Abends entgegenbringen, ganz zu schweigen.
Man wird ein bisschen geerdet
Doch die Helfer reizt noch mehr an ihrem Ehrenamt. „Man wird ein bisschen geerdet“, sagt Rüdiger. Er lenkt den Bus durch den einsetzenden Schneefall, vorbei an Weihnachtsmärkten und hell beleuchteten Einkaufsstraßen. Keine hundert Meter neben dem bunten Treiben auf dem Fleetweihnachtsmarkt in der Neustadt steuert er eine Platte an, auf der zwei Obdachlose Schutz vor der Kälte suchen. Sie haben keinen Hunger – aber man sieht, dass sie frieren. Heute Abend wollen sie keine Hilfe vom Mitternachtsbus, aber vielleicht morgen. „Man lernt es zu schätzen, dass man seine Wohnung hat und sich ins warme Bett kuscheln kann“, sagt Renate. „Uns geht es verdammt gut“, stimmt ihr Rüdiger zu.
Der Mitternachtsbus steuert einen weiteren Haltepunkt nahe der Willy-Brandt-Straße an. Drinnen bringt sich das Team in Position und öffnet die Schiebetür. Draußen wartet schon Norbert, ein 64-Jähriger Obdachloser. Auch ihm ist kalt, und er hat Hunger. Dankbar nimmt er eine mit Käse und Schinken überbackene Laugenstange und einen mit Zuckerguss überzogenen Weihnachtsbaum entgegen. Und weil seine Hände frieren, schenkt Renate ihm ein paar selbstgestrickte Handschuhe. Norberts Augen strahlen. „Och Mädel, wie soll ich das wiedergutmachen?“, fragt er. Muss er gar nicht: Norberts Freude ist Renate Dank genug.
Warum schläft Norbert nicht im Winternotprogramm der Stadt? Nur wenige hundert Meter von hier könnte er die Nacht in einem Bett verbringen. „Ich hab’ mal ‚ne Enttäuschung gehabt mit so was“, sagt er nur. Viele Obdachlose meiden die Notunterkünfte, weil sie dort schlechte Erfahrungen gemacht haben. Rüdiger versucht, ihm die neue Einrichtung in Hammerbrook ans Herz zu legen, die moderner und besser ausgestattet ist als die bisherigen des Winternotprogramms. Norbert nimmt einen Flyer mit, doch ob er wirklich ins Winternotprogramm geht, bleibt unklar. Wenn der Mann bei der nächsten Runde wieder hier steht, will er nachhaken. „Ich nehme mir auch für solche Gespräche die Zeit“, sagt er. Ein bisschen sind die Ehrenamtlichen auch Sozialarbeiter.
Freiwillige bleiben lange dabei
Und sie bleiben lange bei der Sache. Uta ist schon seit elf Jahren dabei, Renate seit sechs, Rüdiger immerhin seit 1 ½. Jeden Monat fahren sie einen Abend im Bus mit – so wie die 127 anderen Freiwilligen auch. „Ich bin in dieser Zeit zwei Mal nicht mitgefahren“, entschuldigt sich Renate. „Einmal war ich krank und einmal fuhr die S-Bahn nicht.“ Aber davon ab haben sie ihren fixen Termin, Monat für Monat. „Ich freue mich jedes Mal darauf, weil es was ganz anderes ist, als ich sonst im Alltag erlebe“, sagt Renate. Das funktioniert auch so gut, weil die Stimmung im Bus bestens ist. Die drei flachsen herum und haben merklich Spaß. „Wir sind ein sehr nettes Team, wir machen viel Schabernack“, sagt Ute. Renate ergänzt: „Es muss auch menschlich passen.“ Und es passt!
Nach einigen Kilometern wird es kalt im Mitternachtsbus, trotz Heizung. „Es zieht einem so langsam die Beine hoch“, sagt Rüdiger. Weil er das weiß, hat er sich lange Unterhosen angezogen. So ist es noch auszuhalten. „Aber man fragt sich schon: Wie halten die Gäste das auf der Straße aus?“ Der Tee und der Kaffee, den die drei an sie ausgeben, hilft ihnen dabei wenigstens ein bisschen.
Spenden? – So kann's gehen
Dass der Mitternachtsbus seine wichtigen Aufgaben in 365 Nächten im Jahr wahrnehmen kann, ist alleine privaten Spendern zu verdanken – denn öffentliche Gelder bekommt die Diakonie für den Betrieb nicht. Die Kosten sind nicht unerheblich: rund 140.000 Euro kostet der Mitternachtsbus jährlich. Zwei hauptamtliche Mitarbeiter werden davon bezahlt, außerdem das Auto, der Lagerraum sowie Schlafsäcke, Isomatten und Decken, die aus dem Bus an Obdachlose verteilt werden. „Allein dafür geben wir locker 30.000 Euro im Jahr aus“, sagt Projektleiterin Sonja Norgall. Es sei keinesfalls selbstverständlich, dass die dafür notwendigen Spenden auch tatsächlich zusammenkommen, sagt sie: „Wir müssen jedes Jahr gucken, ob das hinkommt.“
Punkt Mitternacht fährt der Bus wieder auf seinen Stellplatz in Hammerbrook. Die restlichen Kisten mit Lebensmitteln haben Uta, Rüdiger und Renate zuvor im Winternotprogramm abgegeben, wo sie am kommenden Morgen zum Frühstück ausgegeben werden. 38 Kilometer sind sie durch Hamburg gefahren, 112 Bedürftige haben sie versorgt. „Das war heute ein guter Abend“, sagt Uta. Und morgen kommt der nächste. Und übermorgen noch einer.
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