"Himmel & Elbe" "Wir möchten Tabus 'besprechbar' machen"


Einander zuhören, sich in andere hineinversetzen und mit Menschen im Gespräch bleiben, die andere Positionen vertreten: „Das sind Dinge, die abhandenkommen“, sagt Ingeborg Klöckner, Kirchengemeinderätin in der Ev.-Luth. Epiphaniengemeinde in Winterhude. Gemeinsam mit dem Pfarrteam hat die 69-Jährige die Gesprächsreihe „hin:gehört“ initiiert. 

Alle zwei Monate kommen Menschen aus der Gemeinde und dem Stadtteil zusammen, um sich im Hinhören zu üben und über Themen zu sprechen, die viele verunsichern. Es geht um Rassismus, Armut, psychische Erkrankungen oder queere Lebensformen. „Wir möchten Themen, die eher tabuisiert sind in der Gesellschaft, aber auch hier in der Gemeinde, ‚besprechbar‘ machen“, sagt Pastorin Friederike Arnold. Die Abende beginnen mit Impulsvortägen von Expertinnen oder Betroffenen, „um Erfahrungen, die wir selbst nicht machen, durch andere vermittelt zu bekommen.“ 

hin:gehört soll demokratiefördernd sein 

Die Idee dazu entstand im Sommer 2023. Die Diskussion um die Predigt des niedersächsischen Pfarrers Quinton Ceasar, der auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag über Rassismus und Queerfeindlichkeit in der Kirche sprach, ließ Ingeborg Klöckner und andere in der Gemeinde nicht los. Sie wollten wissen, wie offen ihre Kirche in der Jarrestadt ist. Die Zunahme rechtsextremer Positionen im Kontext der Europawahl gab dann den Ausschlag, die Gesprächsreihe ins Leben zu rufen. „Es entstand das Bedürfnis zur Demokratiebildung beizutragen, Meinungsbildung durch Kontakt, Beziehung und Begegnung zu ermöglichen“, erzählt die 37-Jährige Pastorin. 

Genauer erklärt es Ingeborg Klöckner: „Indem wir uns an grundlegende Techniken erinnern, einander zuzuhören, sich eine eigene Meinung zu bilden – sich dabei aber auch in die andere Person hineinzuversetzen und zu versuchen, ihre Haltung zu verstehen.“ Unter Umständen lasse sich so im Gespräch ein Konsens finden – doch auch wenn das nicht das Ergebnis sein sollte, ist gegenseitiger Respekt wichtig, so die Ehrenamtliche. 

„Wir wollen unserem Anspruch gerecht werden, so gut es geht ein sicherer Ort zu sein“ 

Anfang September kamen 14 Menschen aus dem Quartier in den Gemeindesaal, um die Hamburger Theologin Sarah Ntondele zu hören, die über die Stimmen schwarzer Menschen in der evangelischen Kirche und über ihre Erfahrungen sprach. Eine davon ist, wenig sichtbar und in vielen Bereichen ausgegrenzt zu sein. Doch „es gibt uns“, sagt Ntondele, „und wenn wir nicht da sind, hat das einen Grund.“ Die Möglichkeit Rückfragen zu stellen und sich in kleinen Gruppen auszutauschen, gab Gelegenheit, sich auch mit den eigenen Anteilen auseinanderzusetzen. Anderen zuzuhören, verändere auch einen selbst, sagt Ingeborg Klöckner. „Es ist wichtig Lebensrealitäten wahrzunehmen, die hier nicht vertreten sind.“ 

Auch die Vernetzung und der Erfahrungsaustausch mit anderen Vereinen und Initiativen im Quartier ist Bestandteil der Reihe, die vom Verein „Andere Zeiten“ gefördert wird. Im Oktober wird Jonas Zipf, kaufmännischer Geschäftsführer der Kulturfabrik Kampnagel, darüber sprechen, wie im Kunst- und Kulturbetrieb Schutzräume für queere Menschen geschaffen werden. „Wir wollen unserem Anspruch gerecht werden, so gut es geht ein sicherer Ort zu sein“, erläutert Friederike Arnold. „Und das geht besser, wenn wir geübt darin sind, hinzuhören, die eigene Perspektive kritisch zu hinterfragen und Menschen so zu sehen, wie sie sich selbst und die Welt erleben.“ 

Bis Herbst 2025 sind weitere Termine geplant, wo es unter anderem um Themen wie psychische Erkrankungen und Armut gehen soll. Für eine gute Nachbarschaft ist es wichtig, sich mit den Initiativen im Quartier zu vernetzen und mit den Menschen im Stadtteil im Gespräch zu sein – auch über die Gesprächsreihe hinaus. 

Diese und viele weiteren spannenden Themen sind ab heute in der neuen “Himmel & Elbe” zu lesen, die Sie als Beilage beim Hamburger Abendblatt und als PDF zum Download finden.