"Himmel & Elbe" „Verlegenheit ist bei der Kirche fehl am Platz“


Ein Jahr lang hat Pastor Lars Schulz als Theologischer Referent für „Kirche im Dialog“ gearbeitet, einem Arbeitsbereich der Ev. Nordkirche mit Sitz in Hamburg Altona. Kirche im Dialog nimmt seit 2011 die kirchliche Arbeit aus soziologischer, theologischer und praktischer Perspektive in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg in den Blick. 

Pastor Lars Schulz und seine Kollegin Diana Freyer unterstützen Gemeinden, kirchliche Arbeitsstellen und Einrichtungen bei der Umsetzung von Projektideen. Im Gespräch mit “Himmel & Elbe” erklärt er, was es mit dem Bereich auf sich hat und wie er Gemeinden dabei hilft, ihre Inhalte geschickt zu kommunizieren.

Worum geht es bei Kirche im Dialog? 

Das hat sich entwickelt. Die ursprüngliche Idee von Kirche im Dialog war zu fragen: ‚Was macht Kirche eigentlich mit Menschen, die nicht in der Kirche sind?‘ In den ersten Jahren war es eher eine Forschungsstelle, die unter anderem herausfinden wollte, warum und wohin die Kasualien, vor allem Trauungen und Beerdigungen, abwandern. In einer nächsten Phase wurde gefragt: Wie bekommen wir Menschen, die etwas von Kirche haben könnten, auch dahin, dass sie es kriegen? Damals ist zum Beispiel die ‚Pop-Up-Church‘ entstanden, einmalige Aktionen in der Öffentlichkeit, die Kirche sichtbar machen. Zum Beispiel auf der Alster im Talar mit dem SUP unterwegs sein und mit Menschen ins Gespräch kommen. 

Worauf liegt der Fokus heute? 

Es schwang immer schon die Frage nach der Sozialraumorientierung mit: Welche Aufgabe hat Kirche eigentlich in der Gesellschaft? Da sind wir jetzt stärker dran und fragen:  Wer steht mit seinem Gesicht für Kirche und sagt: Ich bin als Christin, als Christ für meinen Sozialraum da, bin im Kontakt und Dialog, muss aber niemanden zu mir rüber ziehen und muss mich auch nicht verteidigen. Das ist die freie Haltung, die den Dialog bestimmt. Dialog ist kein Überzeugungsakt, sondern einer, der transparent sagt und zeigt: Hierfür stehe ich. Und der dann auffordert: Wenn du Fragen hast, dann frag. ‚Kirche im Dialog‘ ist letzten Endes jeder und jede, die Interesse hat auf andere zuzugehen und ansprechbar zu sein. 

Worauf reagiert Kirche im Dialog? 

Lange Zeit bedeutete Kirchenmitgliedschaft: Ich bin getauft, bin informiert und habe Interesse. Mit dem Rückgang der Kirchenmitgliedschaft stellt sich zunehmend die Frage: Was machen wir mit denen, die informiert und interessiert sind, aber keine Kirchenmitglieder? Wir haben in Kirche häufig eine Bedien-Logik, die Menschen die Selbstwirksamkeit nimmt, indem wir sagen: Wir haben ein breites Angebot und unsere Hauptamtlichen stehen jeden Tag für Sie bereit, damit Sie sich etwas abholen können. Das belässt Menschen in einer rein empfangenden Haltung. Aber sobald Menschen etwas einbringen können, gewinnen sie eine viel höhere Identifikation. 

Wie kommen wir ins Gespräch mit Menschen, die keine Kirchenmitglieder sind? 

Als Kirche erkennbar sein. Das haben wir beispielsweise Anfang des Jahres bei den Demos gegen Rechts mit Klatschpappen gemacht. Die kennt man von großen Sportveranstaltungen, etwa aus der Handballhalle. Das sind bedruckte Pappen, die man falten, damit sehr laut sein und hochhalten kann. Auf der einen Seite steht „Nie wieder ist jetzt“ und auf der anderen „Alle Menschen gleich an Würde“ und das Logo der Nordkirche Diese Pappen haben wir kostenlos verteilt. Das fanden sehr viele Leute gut. Häufig haben sie das Gespräch gesucht und gesagt: Wie toll, dass Kirche auch dabei ist. Und sie kamen untereinander ins Gespräch. In Rostock hatten wir 200 Stück dabei und die waren in zehn Minuten weg. Anschließend hat man Bilder von Demos, auf denen viele Menschen diese Pappen hochhalten. „Alle Menschen gleich an Würde“ ist eine zutiefst theologische Aussage. Und es gibt so viele Menschen, die sich damit identifizieren wollen. Dabei geht es nicht um Mission. Das heißt nicht, dass die morgen einen Mitgliedschaftsantrag einreichen oder sich taufen lassen. Sondern es geht darum: Was sind eigentlich unsere Inhalte und wollen sich Leute damit verbinden? 

Wie kommuniziert Kirche ihre Inhalte? 

Wir haben ganz viele unterschiedliche Sprachen in der Kirche, die alle für sich genommen funktional sind. Wir haben eine theologische Fachsprache, also eine Wissenschaftssprache. Diese Sprache kommt auch in der Predigtsprache vor und es gibt ein Milieu, das sagt, ja, genau das möchte ich, eine theologisch anspruchsvolle Predigt. Das funktioniert aber nicht für alle. Dann haben wir eine Sprache der Liturgie, die aus zweieinhalbtausend Jahren Bild-- und Sprachwelten schöpft. In der Seelsorge haben wir wiederum eine Sprache mit einer großen Offenheit, weil es nicht darum geht, dass ich als seelsorgende Person etwas kommuniziere, sondern dass ich jemand anderem die Möglichkeit gebe, die eigenen Erfahrungen vor Gott durchzuarbeiten. Dann haben wir eine amtliche Sprache, die wir als kirchliche Sprache sehr pflegen. „Ich kann das gut hören“ ist z.B. ein Satz, den man häufiger in innerkirchlichen Zusammenhängen hört. Man ist anderer Meinung, will aber niemanden verletzen. Oder „Sie sind eingeladen.“ Das stimmt ja meistens nicht. Wenn man sich die Veranstaltungsformate anguckt, dann sind die gar nicht für alle Leute. Aber man hat sich selber entlastet, denn ‚ich hab doch alle eingeladen‘. Der Satz hat eine ähnliche Funktion wie „Ich kann das gut hören.“ Das ist eine „Teflon-Sprache“, mit der ich mich nicht angreifbar mache. 

Also hat Kirche ein Problem mit ihrer Sprache? 

Ich glaube, viele der Sprachspiele, die wir in der Kirche pflegen, funktionieren noch immer total gut. Unsere Liturgie ist seit Jahrtausenden erprobt. Das funktioniert. Unsere seelsorgliche Sprache funktioniert, sobald sie offen und zugewandt ist. Ich glaube aber, dass wir ein Problem mit unserer amtlichen Sprache haben, besonders, wenn sie in andere Sprachbereiche, etwa Gottesdienst, Seelsorge und Öffentlichkeitsarbeit eindringt. Die amtliche Sprache ist zwar funktional in sich, aber die Frage ist: Brauchen wir nicht die Konflikte, die auftauchen? Muss ich nicht sagen, dass ich anderer Meinung bin? Wenn ich mit einer riskanten Offenheit reingehe, dann wird mein Gegenüber im Zweifel genauso riskant antworten. Und dann ist man in einem echten Gespräch. 

Wo liegen die Grenzen des Dialogs? 

Es gibt dieses Toleranzparadox. Ich kann nicht tolerant sein mit Menschen, die nicht tolerant sind. Ich kann nicht mit Menschen diskutieren, die nicht diskutieren möchten. Ich muss in meiner Sprache auch zweifeln, um Türen offen zu lassen für ein Gespräch. Und das gilt auch für das Gegenüber. Wenn ich nur zur Bühne für die Phrasen meines Gegenübers werde, dann entsteht kein Gespräch. Das ist auch der Satz, den ich mir zurechtgelegt habe: Als Bühne für deinen Hass stehe ich nicht zur Verfügung. Dann frage ich: Möchtest du dich darüber wirklich offen unterhalten? Dann setzen wir uns gemeinsame Regeln. Wenn die Regeln aber ist, es darf keinen Widerspruch geben, dann gibt es ja sowieso kein Gespräch. Dann ist es nur ein Schein von einem Dialog. Und eine ganz klare Grenze sind menschenverachtende Aussagen. 

Wer wendet sich an Kirche im Dialog und mit welchen Fragen?

Häufig werden wir gefragt: Wie funktioniert das, was wir woanders gesehen haben: Ein Begrüßungsfest, eine Pop-Up-Aktion, die Beteiligung in einem lokalen Bündnis? Oder wie kommen wir an die Menschen ran, mit denen wir sonst nichts zu tun haben, die aber hier im Quartier leben? Wie können wir unsere Arbeit neu denken? Wir arbeiten mit Gemeinden, in Konventen und haben auch schon Kirchengemeinderats-Wochenenden begleitet, wenn die gesagt haben, wir würden gern auf neue Ideen kommen, wir stecken gerade fest. 

Mit welchen Methoden arbeitet Kirche im Dialog? 

Wir beteiligen die Leute gern, zum Beispiel durch Ideensprints. Denn meistens wissen die Leute, die vor Ort sind, ganz genau was bei ihnen passt. Da sammeln alle auf Klebezetteln zu einer Frage, z.B. „wie können sich im nächsten Sommer soundsoviele Menschen unterschiedlicher Altersgruppen an einem Tag begegnen“, in drei Minuten so viele Ideen, wie sie können. Im nächsten Schritt werden die Ideen in der Gruppe vorgestellt und erweitert. Und am Ende wird eine Idee ausgewählt und konkrete Verabredungen getroffen. Der Beratungsprozess hört nicht mit der Idee auf. Oft braucht es ein Pilotprojekt, das einmal durchgeführt wird, dabei unterstützen wir dann. Das Gute am Ideensprint ist, dass unter Zeitdruck ganz viel produziert wird. Und am Ende hat man eine Fülle, aus der man auswählen kann. Das befreit von der Frage: Welche eine Idee rettet denn die Kirche? 

Welchen Stellenwert hat digitale Kommunikation? 

Wir bekommen viele Fragen über Instagram und kommunizieren darüber. Es ist im Grunde eine Pflicht, auch mit einem digitalen Schaukasten aufzutreten und gelungene Projekte zu zeigen. Das führt zur Vernetzung mit anderen, das finde ich gerade für den Sozialraum interessant. Das haben wir bei den Demonstrationen vor der Europawahl in Mecklenburg-Vorpommern gemerkt, dass Leute gefragt haben: Wie können wir unterstützen? Die Klatschpappen wurden zum Beispiel vor allem über Instagram vermarktet. Und dann haben Leute aus Hamburg, Meldorf und Kiel gesagt: So was hätten wir auch gerne. Das führt Schaukasten, Vernetzung und Mobilisierung zusammen. Im Besten Falle kommt der Schaukasten, der jetzt bei allen in der Hostentasche ist, mit einem geistlichen Inhalt zusammen. 

Gibt es einen biblischen Bezug, der Sie leitet? 

Meine Haltung bestimmt am ehesten der Satz des Apostels Paulus „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“.  Die Kirche hat so viel zu bieten. Verlegenheit ist da fehl am Platz. Lasst uns doch mit unseren guten Erfahrungen dazu stehen und die Welt etwas besser machen.

Diese und viele weiteren spannenden Themen sind ab heute in der neuen “Himmel & Elbe” zu lesen, die Sie als Beilage beim Hamburger Abendblatt und als PDF zum Download finden.