Keine Parade und kein Straßenfest zum Christopher-Street-Day in Hamburg – mit dem Gottesdienst am Sonntag wollen Sie trotzdem ein Zeichen setzen…
Thomas Lienau-Becker: Ganz genau. Dass die Community der Leute, die divers leben, Rechte einfordert und sich zeigt: Dieser Anlass bleibt. Und wenn es keine Paraden und Großveranstaltungen geben kann, feiern wir Gottesdienst, so wie jedes Jahr zum CSD. (Anm. d. Red.: Christopher-Street-Day)
Das Motto lautet „40 Jahre offen und bunt“. Was steckt dahinter?
Ende Juni 1980 gab es in Hamburg zum ersten Mal die Gay Pride Week. Wir wollen auf diese 40 Jahre und den CSD im Wandel zurückschauen.
Was ist in diesen letzten 40 Jahren passiert? Was lief gut? Wo gibt es nach wie vor Defizite?
Es gibt wenig Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die sich so positiv verändert haben, wie das Verhältnis zur Vielfalt von Lebensformen.
Kirche als "fremder Raum" für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queers
Im Vordergrund Ihrer Arbeit stehen die Themen HIV und Aids, aber auch die Arbeit mit Menschen unterschiedlicher sexueller Ausrichtung. Sie verstehen Ihre Arbeit als Nahtstelle zwischen der Kirche und den LGBTIQ*-Communities. Wo ist diese Naht gut vernäht, wo gibt es noch Löcher?
Verschiedene Lebensformen sind akzeptiert und die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Ehen ist eine Regel-Amtshandlung. Da sind unsere Synoden wirklich weit gekommen. Gleichzeitig empfinden Schwule, Lesben und Transgender-Personen Kirche als einen Raum, der ihnen fremd, der gar gegen sie ist. Und da müssen wir als Kirche dran arbeiten: Glaubwürdig zu zeigen, dass unter uns Diversität gelebt wird.
Und wie kann das besser gelingen?
Durch ganz Vieles. Die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist eins. Ich war ja Propst, und in einer Leitungsposition schwul zu sein, das zeigt auch schonmal etwas. Oder dass Pastorinnen und Pastoren als gleichgeschlechtliche Paare im Pfarrhaus leben, inzwischen selbstverständlich, vor 25 Jahren noch undenkbar und verboten. Ich musste mir eine Privatwohnung suchen vor 24 Jahren, als ich nach Kiel zog, weil ich nicht hätte mit meinem Freund zusammenleben können.
Sie leisten als Pastor Seelsorge für HIV-positive Menschen in Hamburg und arbeiten auch mit der Community zusammen. Wie geht es diesen Menschen derzeit im Hinblick auf die Corona-Pandemie und ihre Einschränkungen?
Ich hatte den Eindruck, Viele kommen relativ gut zurecht. Menschen mit HIV sind es gewohnt, bewusst mit ihrer Gesundheit und mit Infektionsrisiken sowie alleine mit einer schwierigen Lebenssituation umzugehen.
Inzwischen ist es anders, weil viele Veranstaltungen innerhalb der Szene immer noch nicht stattfinden können. Sich getrennt fühlen von anderen und isoliert sein, das hat auch mit der HIV-Infektion zu tun. Kommt dann eine Depression hinzu, ist die Zeit natürlich sehr schwierig.
Ich beobachte auch: Eine Transgender-Person oder eine Person die nicht-binär ist, weder Mann noch Frau, oder Nicht-Geoutete oder Homosexuelle in einer Trennung – unterschiedliche Lebenswelten kommen in einer Krisensituation viel weniger in den Blick und werden weniger gehört.
Wie helfen Sie hier?
Etliche genießen sehr, dass unsere Gruppen langsam wieder zusammenkommen. Ansonsten haben wir versucht, Kontakt zu halten auf Entfernung, und zum Beispiel einen Youtube-Kanal eingerichtet.
Aids nach wie vor auf der Agenda haben, auch in der Corona-Krise
Und global betrachtet: Wie gestaltet sich da die Situation um das Thema HIV und Aids?
Die medizinischen Fortschritte sind immens, inzwischen steht zum Beispiel fest, dass HIV-Infizierte in erfolgreicher Behandlung das Virus nicht mehr weitergeben. Das ist eine kapitale Veränderung im Leben der Infizierten.
Außerdem hat die WHO hat das ambitionierte Ziel, die Ausbreitung von Aids bis 2030 unter Kontrolle zu haben. Das heißt die Zahl der Infizierten soll nicht weiter wachsen. Und viele Länder sind sehr diszipliniert dabei. Allerdings treibt die deutsche Aidshife auch die Sorge um, dass das Thema Aids hinten runterfällt, da Corona die Gesundheitssysteme sehr herausfordert.
Man hört immer wieder in diesem Zusammenhang, dass die Welt für den Umgang mit COVID-19 viel daraus lernen könne, wie wir in San Francisco und anderswo in den 80er und 90er Jahren die Aids-Pandemie bewältigt haben…
Absolut. Eine wichtige Lehre ist, dass Selbstverantwortung wichtig ist. Weniger schlichte Verbote, mehr Selbstverantwortung – das ist ja auch etwas, was im Zusammenhang mit Corona gefordert wird. Ich schließe mich dem nur zum Teil an. Denn bei Corona gibt es keinen Impfstoff und keine Behandlungsmöglichkeiten, das ist bei HIV anders. Da gibt es zumindest die Möglichkeit, es unter Kontrolle zu halten. Dann ist auch Risikoabwägung besser möglich.
Wie blicken Sie nun für sich Menschen mit HIV und Aids zum einen und LGBTIQs zum anderen in die nächsten 40 Jahre?
Ich bin optimistisch, was die Bekämpfung der Ausbreitung und die medizinische Behandelbarkeit anbelangt. Und gesellschaftlich… Es ist enorm, was da in den letzten Jahrzehnten passiert ist. Ich weiß, dass die Risiken von reaktionär-autoritären Rollbacks immer und überall da sind, aber ich bin trotzdem optimistisch. Das ist Lebenshaltung.
*Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Quee
Der Gottesdienst wird gemeinsam gestaltet von der Basisgemeinde MCC-Hamburg, "positiv leben&lieben" (AIDS-Seelsorge) und der Kirchengemeinde St. Georg - Borgfelde. Die Predigt hält MCC-Pastor Thomas Friedhooff.
Wann? Sonntag, 26. Juli, 18 Uhr
Wo? St.Georgs-Kirche am Hauptbahnhof , St. Georgs Kirchhof 3
Hintergrund: In Hamburg gingen 1980 erstmals Schwule und Lesben auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Seitdem gibt es jedes Jahr im August die große Parade Hamburg Pride zum Christopher-Street-Day (CSD). An diesem Tag protestieren weltweit Homosexuelle und sexuelle Minderheiten gegen Diskriminierung und Gewalt und gedenken des Aufstands gegen Polizeiwillkür nach einer gewalttätigen Razzia in einer New Yorker Bar in der Christopher Street im Juni 1969.