Chevalley hat seinen Arbeitsplatz mitten im Vergnügungs- und Rotlichtviertel St. Pauli. Die Arbeit der Heilsarmee auf der Reeperbahn sei den Ideen des Gründervaters besonders nah, sagt er. Booth habe alles versucht, um Menschen, die der Institution Kirche fern sind, zu erreichen. Die "miesen Lebensverhältnisse" und die soziale Ungerechtigkeit, gegen die er angehen wollte, finde man heute hier mitten in Hamburg.
Hilfe für Einsame und Suchtkranke
Jeden Freitag beginnt um 12 Uhr die "Tagesstätte": Im ersten Stock treffen sich Obdachlose, Prostituierte, Ausländer, Einsame und Suchtkranke. Rund vierzig Männer und Frauen sitzen an kleinen Tischen und unterhalten sich. Sie warten auf Essen, Kleiderausgabe oder Seelsorge. "Wir helfen da, wo das Sozialhilfesystem nicht greift", sagt Chevalley. Der gebürtige Schweizer stammt aus einer Heilsarmee-Familie. 1979 kam er als Orgelbauer nach Hamburg und fand hier seine Berufung als "Offizier", wie die Heilsarmee ihre ausgebildeten Geistlichen nennt.
Wer auf der Reeperbahn Aufmerksamkeit erregen will, muss kreativ sein. Jeden Donnerstagabend treffen sich die Mitarbeiter zur "Straßenevangelisation": Mal laufen sie singend durch St. Pauli, mal werden kleine Geschenke verteilt, mal wird Jesus am Kreuz pantomimisch dargestellt. Mit Straßenkreide malen sie Graffiti mit Bibelsprüchen auf den Asphalt. Mitten auf der Reeperbahn inszenieren sie eine Hochzeit mit Fotoshooting, um interessierte Passanten dann in die hauseigene "Coffee Bar" zum Hochzeitsfest einzuladen. Nach jeder Straßenaktion wird hier ein Theaterstück aufgeführt.
Menschen werden optimistischer
Hilfe und Mission gehen bei der christlichen Freikirche Hand in Hand. Die Mitarbeiter bieten Bibelgesprächskreise an. "Die Menschen werden hier mit dem Glauben neu konfrontiert", sagt Chevalley. Dass ein Bedürftiger zur Heilsarmee kommt und plötzlich Christ wird, hat er während seiner langjährigen Tätigkeit noch nicht erlebt. "Das geht langsamer." Veränderungen seien aber spürbar, viele Menschen würden optimistischer werden. "Sie entdecken sich in einem neuen Licht, wie Gott sie sieht." Vor allem aber würden die Bedürftigen erleben, wie sie von Christen so angenommen werden, wie sie sind.
Mit verrückten Aktionen wollen die Mitarbeiter positive Begegnungen mit Christen schaffen - gerade für Menschen, denen ein Gottesdienst zu steif ist. Ein Mitarbeiter stellt sich tot und wird mit Kreide ummalt, darüber der Spruch "Die Reeperbahn bringt den Tod, aber Jesus bringt das Leben". Chevalley: "Schon ist man im Gespräch". Eine Frau aus der Nachbarschaft etwa hat die Arbeit der Heilsarmee jahrelang nur von weitem beobachtet. Als ihr Mann starb, kam sie auch persönlich vorbei und gehört seitdem dazu.
"Manchmal wird man belächelt", sagt Chevalley. Doch auch wenn Ergebnisse nicht immer gleich sichtbar seien, lohne es sich. Als einen besonders schwierigen Ort für die Missionsarbeit sieht Chevalley die Reeperbahn nicht an: "Als Christ authentisch zu leben, ist überall eine Herausforderung."