Zu seinem 100. Geburtstag in diesem Jahr haben die umliegenden Kirchengemeinden dem Stadtpark einen Pilgerweg „geschenkt“. Er ist 5,7 Kilometer lang und führt einmal rundherum: vorbei am Planetarium, an der Freilichtbühne, am Stadtparksee und über die große Festwiese. Die Broschüre „Rauswege“ enthält Texte zu jeder der 22 Stationen und eine Karte. So kann man den Weg auch alleine gehen.
Ich will mich mit anderen auf den Weg machen. Bisher bin ich gewandert. Ich möchte erfahren, was es heißt zu pilgern. Jeden Donnerstag um 18. 30 Uhr startet eine angeleitete Tour. Vorher räume ich meine Handtasche aus, damit sie leichter wird. Wie vor einer Reise.
50 Männer und Frauen sind gekommen
Treffpunkt Trinkhalle, nahe der U-Bahn Borgweg. 50 Männer und Frauen sind gekommen. Hinter dem Café stellen wir uns in einen Kreis. Unsere Wegbegleiter sind Rainer Hanno, Pastor an der Auferstehungskirche Barmbek und seine Kollegin Iris Schuh-Bode aus Hamburg-Alsterdorf.
Bevor wir starten, sagen wir unsere Namen. Dann schließen wir die Augen, versuchen wahrzunehmen, was wir hören und spüren. „Du machst dich auf den Weg mit Körper, Geist und Seele“, sagt Rainer Hanno. Als Segenszeichen streicht er mir ein Kreuz mit Öl in die Handfläche. Dann hebt er seinen Pilgerstab mit dem blauen Band – das Zeichen zum Aufbruch.
An der nächsten Ecke biegen wir ab. Das „Sierichsche Gehölz“ ist die Urzelle des Stadtparks. Eichen, Buchen und Ahorn breiten ihre Kronen über uns aus. Die Luft riecht würzig, die Kühle erfrischt. Nur entfernt höre ich Verkehrsrauschen.
"Beim Pilgern bekomme ich etwas"
Nach einem Gebet an der „Friedensstele“ geht es weiter in Richtung Planetarium. Iris Schuh-Bode spricht über die Sehnsucht nach dem Himmel, die uns alle verbindet. Sie fordert uns auf, uns eine unbekannte Gesprächspartnerin für die nächste Etappe zu suchen.
Eva-Maria Koop, 63, geht schon das dritte Mal mit. Als Krankenschwester im Schichtdienst ist es ihr Job, sich um andere zu kümmern. „Beim Pilgern bekomme ich etwas“, sagt sie. Jedes Mal stünden andere Stationen im Vordergrund und andere Menschen pilgerten mit. „So erhält man immer neue Anregungen.“
Im Norden des Parks verändert sich die Landschaft. Wir laufen über sandigen Boden, vereinzelt ragen Kiefern in den Himmel. Rainer Hanno verordnet uns für die nächste Etappe Schweigen. Ich höre Vögel ziepen, die Schritte einer Läuferin.
Wegweiser fehlen noch
Niemand macht ein großes Aufheben um uns. Auch nicht, als wir am Ententeich mehrmals laut den 104. Psalm beten und später an der Freilichtbühne „Geh aus mein Herz singen“. So, als sei Pilgern natürlich an diesem Ort. So natürlich wie Laufen, Grillen, Spielen, Plantschen und in den Himmel schauen.
Nur gut, dass die Broschüre „Rauswege“ eine Karte enthält. Mit einer Fläche von 150 Hektar ist der Stadtpark fast so groß wie die Außenalster. Man kann sich leicht verlaufen. Der Weg ist nur selten mit blauen Bändern markiert. Die Stadt habe noch keine festen Wegweiser genehmigt. Auch, um andere religiöse Gruppen nicht auszuschließen, sagt Iris Schuh-Bode.
Die blaue Stunde hat begonnen. Über uns der Himmel, um uns die Weite der großen Festwiese. Oberbaudirektor Fritz Schumacher hat den Park zusammen mit Deutschlands großem Gartenarchitekten Otto Linne geschaffen – und einen Garten nicht nur zum „Durchwandern“ im Sinn gehabt, sondern zum „Inbesitznehmen“. Es ist auch umgekehrt, denke ich: Die Parklandschaft nimmt mich in Besitz.
Wer geht, kommt zum Ziel
Am Rand der Wiese liegt ein Labyrinth. Schritt für Schritt gehen wir dem Pfad nach, der sich über den Boden windet. Anders als in einem Irrgarten hat das Labyrinth keine toten Enden. „Man braucht nur immer weiter zugehen, dann kommt man zum Ziel, in die Mitte“, sagt Rainer Hanno.
Nach dreieinhalb Stunden sind wir wieder am Ausgangspunkt angekommen. Gemeinsam beten wir das Vaterunser. Eva-Maria Koop sagt, dass sie am nächsten Donnerstag wiederkommt, wenn es nicht regnet.
Zuhause falle ich erstmal aufs Sofa. Wer hat gesagt, dass Pilgern ein Spaziergang ist? Später räume ich meine Tasche wieder ein. Ich bin wieder hier, bei mir. Aber auch immer noch ganz schön weit weg.
Zeit: jeden Donnerstag um 18.30 Uhr
Treffpunkt: Café Trinkhalle, U-Bahn Borgweg