Eine tragische Fehleinschätzung. Die Familie wurde nach Enteignung und Berufsverbot ins Durchgangslager nach Theresienstadt deportiert. Für Esther begann eine dreijährige Odyssee der Zwangsarbeit und Demütigungen. Theresienstadt, KZ Auschwitz, immer wieder Arbeitslager und am Ende das KZ Mauthausen.
Ihr schönstes Erlebnis im KZ
Esther fasziniert die Menschen mit ihren Worten. Die kleine drahtige Frau mit ihrem Hamburger Slang lacht immer wieder, ist einfach locker. Sie berichtet geradezu sachlich über die Gräuel im KZ, hält freundlichere Anekdoten bereit. Vor Hunger haben wir Gras gegessen“, sagt sie an einer Stelle. Dann wieder berichtet sie über ihr schönstes Erlebnis im KZ: Am meinem 21. Geburtstag habe ich von meiner Bettnachbarin ein winziges Stück Margarine bekommen“, sagt sie strahlend. Das war die Wochenration, die sie sich vom Munde für mich abgespart hatte.“ Und der schönste Tag in meinem Leben: Die Befreiung von Mauthausen durch die Amerikaner.
Tatsächlich war die Angst ihr ständiger Begleiter in dieser Zeit. Das begann schon bei der Ankunft in Auschwitz. Der berüchtigte SS-Arzt Josef Mengele, der medizinische Versuche an Kindern und besonders Zwillingen vornahm, teilte den Menschenstrom. Esther und andere Frauen mussten nach rechts gehen. Einen Bekannten von ihr schickte er nach links. Wir dachten jetzt geht’s ins Gas!“ Aber sie kam in ein anderes Arbeitslager. Nie vergessen wird sie die Schreie in den Nächten, die sie aus den vorbei fahrenden LKWs hörte. Die Männer schrien, weil sie wussten, dass sie ins Gas gebracht werden.
Kein Hass gegen Deutsche
Trotz all dem Leiden fühlt sie keinen Hass gegen Deutsche. Die Jugend heute ist wunderbar“, sagt Esther Bauer mit fester Stimme. Und sie pflege Dutzende Freundschaften in Deutschland, obwohl sie bald nach der Befreiung aus dem KZ nach Amerika ging.
Seit 30 Jahren kommt Esther nun regelmäßig zurück, ins Land der Täter. In Vorträgen und vor Schulklassen berichtet sie über die NS-Zeit. Ein Grund für den Kontakt war auch ihr treues Kindermädchen. Denn die besuchte nachts heimlich die Familie Jonas brachte Essen mit und Kleidung. Da war die Familie bereits enteignet und lebte in einer winzigen Arbeiterwohnung im Laufgraben.
"Ich habe einfach Glück gehabt"
Die Gäste im Haus der Kirche in Niendorf stellen Esther Bauer viele Fragen. Warum ihr Vater nicht auswandern wollte? Woher sie wusste, dass die Menschen im KZ mit Gas ermordet wurden? Was aus ihrer Familie geworden ist? Alles beantwortet die New Yorker Jüdin geduldig und ehrlich. Ich hab keine Ahnung, warum ich nicht vergast wurde“, sagt sie achselzuckend. Wahrscheinlich, weil ich noch etwas Fleisch auf den Rippen hatte und als Arbeitskraft zu gebrauchen war.“ Und: Ich habe einfach Glück gehabt – ich war auf keinem Todesmarsch.“
Vieles lässt sich nicht erklären. Esther selbst war lange unklar, wie sie den NS-Terror und die Quälereien überstanden hat. Ein Arzt, der sie wegen psychosomatischer Leiden behandelte, konfrontierte sie damit. Ob sie vielleicht Schuldgefühle habe. Schließlich habe sie überlebt – sechs Millionen Juden starben durch die Nazis. Aber Esther glaubt nicht an Schuldgefühle.
Der Arzt kontert: Esther, Sie leben in einer Schale. Sie lassen nichts an sich heran. Und so haben Sie auch das KZ überlebt.“ Das sagt die alte Dame mit einem vielsagenden Lächeln. Offenbar brauchte es 40 Jahre, bis sie über die KZ-Zeit reden konnte, ohne dass sie von der Vergangenheit überwältigt wird.
Mechthild Klein (kirche-hamburg.de)
Weitere Vorträge mit Esther Bauer:
Di, 8. Februar 2011 - 19.30 Uhr
"Verfemte Musik" – Gesprächskonzert zum Thema Exil und Flucht aus Europa
Grindelhof 30 - Rotherbaum
Hinweis: Zur Einlasskontrolle bitte Personalausweis
oder Reisepass bereithalten!
Mi, 9. Februar 2011 - 18.30 Uhr
"Esther Bauer – eine Eppendorfer Lebensgeschichte"
Film-Preview von Richard Haufe-Ahmels
Kirchengemeinde St. Peter - Groß Borstel
Schrödersweg / Borsteler Chaussee 139