Zwei Stunden lang bot sich den Besuchern der Spitaler Straße am Mittwochnachmittag ein Weihnachtsspektakel. Vier Vikarinnen und Vikare der Nordkirche standen klar erkennbar im Talar vor der Weihnachtskrippe. Jeder für einen Evangelisten: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes stand auf den Schildern, darunter je ein Lichtschalter. „Herzlich Willkommen zur Popupchurch“, begrüßt Vikar Jonas Goebel unermüdlich die interessiert stehengebliebenen Passanten. „Wir erzählen ihnen heute die Weihnachtsgeschichte, sie wählen, was sie wie lange hören wollen.“
Von Lukas bis Markus
Und die Leute lauschen gebannt. Beim Hören des Lukasevangeliums erstrahlen die Gesichter in weihnachtlichen Erinnerungen und großer Vorfreude. Johannes löst Gelächter aus mit seiner Abneigung gegen Stall und Krippe, Hirten und Engel. Dafür spricht er philosophisch vom Wort Gottes, das Mensch geworden ist. Vom Licht der Welt, das in und durch uns strahlt. Matthäus fesselt mit einem Krimi vom Tatort Bethlehem. Angeklagt ist König Herodes wegen versuchten Kindermordes. „Welches Urteil soll ergehen? Ist Herodes schuldig?“, fragt Vikarin Emilia Handke die Menge und jedes Mal heißt es einstimmig: „Schuldig!“ Für die 5-jährige Merle die spannendste Version. Immer wieder kehrt sie mit ihrer Mutter Franziska zurück, will noch mehr hören. Dem Wunsch kommt Franziska gern nach: „Eigentlich geh ich nicht auf den Weihnachtsmarkt mit Kindern. Es ist mir zu trubelig.“, erzählt sie. Die Geschichten böten da eine wunderbare Abwechslung.
Was machen die da?
„Sind das richtige Pfarrer?“, fragt Karolin leise ihre Freundin Lisa. Sie überlegen kurz. Die Amtstracht der Leute erscheint ihnen eindeutig. Menschen im Talar, das müssen Pastoren sein. Oder solche, die es werden wollen. Die beiden jungen Frauen finden es spannend, zu erfahren, was es mit der Geburt Jesu so auf sich hat.
Es sind solche Reaktionen, die Vikarin Linda Pinnecke alias Johannes besonders bewegten. „Diese Frage im Gesicht der Vorübergehenden: Was machen die da? Interessiert mich das? Wie steh ich dazu? Diese Unschlüssigkeit um Trubel hat mich berührt.“
Nur einer hat keine Ahnung von Jesu Geburt. Markus weiß nichts von Weihnachten, versucht das aber, gekonnt zu überspielen. Vikar Hans Hillmann bietet stattdessen Zaubertricks dar, tanzt oder leitet Weihnachten neu her: „Jesus hat ja mal Wasser in Wein verwandelt. Daher kommt wohl das Wort Wein-Achten.“ Nachdenklich wird es, wenn er von Jesus Vorfahren berichtet: „Eine Uroma war eine Prostituierte. Ein Urururopa ein Mörder. Und eine Urururoma war sogar Ausländerin.“ Die 19-jährige Sarah drückt sooft auf Markus Lichtschalter, bis er alle Versionen preisgegeben hat und zuletzt ein Lied anstimmt.
Die alte Geschichte heute
„Wir hören uns das mal an.“ Verwundert bleiben Helga, Petra und Birgit stehen. Eine schöne Idee sei es, die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt mit der Weihnachtsgeschichte in Berührung zu bringen. Auf eine zeitgemäße Art: „Die alte Geschichte wird in die heutige Zeit geholt“, sind sich die drei einig. Am schönsten aber sei das gemeinsame Singen. Zum Abschluss fragten sie sich: „Ist diese Idee auch übertragbar auf andere christliche Feste?“
Während viele Menschen sich kurz dazustellen, um ein, zwei Geschichten zu hören, bleibt Simon über eine halbe Stunde stehen. Bis er alle Versionen gehört, alle Lieder mitgesunden hat. Dass die Evangelien auf so unterschiedliche Weise von Jesu Geburt erzählen, wusste er vorher noch nicht. Und das gemeinsame Singen im Trubel des Weihnachtsmarktes wärmt das Herz. „Hört der Engel helle Lieder“ schmettern Vikare und Passanten gemeinsam. Letztere erstaunlich textsicher.
Zum Teil wird spontan mehrstimmig gesungen. „Dieser Glanz auf den Gesichtern der Menschen als wir gesungen und erzählt haben war wundervoll“, so Vikarin Emilia Handke. „Zu sehen, wie lebendig die uralte, heilige Geschichte ist und auf dem Weihnachtsmarkt mitten im Puls der Großstadt ein Teil von dieser alten und heiligen Geschichte zu werden. Dazu unsere eigene kleine geistliche Vikariats-Gemeinschaft, die sich um das große Geheimnis herum gesammelt hat.“ Ein kleines Weihnachtswunder in der Spitaler Straße.
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