Doch nicht jede und jeder sieht den nächsten Stunden und Tagen so freudig entgegen. Manche fragen sich: Werden wir uns heute abend und an den nächsten Tagen verstehen, oder wird es wieder Streit geben? Wird es vielleicht wieder so düster wie im letzten Jahr in der Familie? Das Weihnachtsfest ist für viele von uns mit dem Rückzug ins Private verbunden; den einen zum Segen und den anderen zum Fluch.
Weihnachten ist politisch
Von seinem christlichen Ursprung her ist Weihnachten alles andere als ein Impuls zum Rückzug ins Private. Die Geschichte von der Geburt Jesu ist schon immer erzählte Theologie mit öffentlicher und das heißt politischer Bedeutung. Sollte hier etwas privat sein, dann ist es zugleich auch politisch.
Für den Evangelisten Lukas (um 90 n. Christi Geburt) relativiert die Geburt des Gottessohnes Jesus alle weltliche Macht. Lukas (Lukasevangelium 2, 1-14) stellt das Geschehen in seine Vorstellung der Weltgeschichte: Es begab sich aber zu der Zeit, als ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt gezählt würde. Und diese Zählung war die allererste und geschah, als Quirinius Landpfleger in Syrien war.
Der mächtige Kaiser Augustus dient in Lukas’ Geschichte nur noch der Zeitangabe. Rom als Reichshauptstadt und Kaisersitz hat hier auch keine Bedeutung mehr. Stattdessen rückt Bethlehem ins Zentrum der Handlung, ein kleiner Ort am Rande der Welt. Gottes Sohn, wie Christen glauben, kommt unter einfachsten Bedingungen in dieser besetzten Provinz des römischen Imperiums zur Welt. Seine Eltern genießen nicht einmal die Annehmlichkeiten eines Statthalters. Erste Zeugen der Geburt sind einfache Hirten, raue Gesellen, arme Leute, die ihre Nächte draußen in der Steppe zubringen.
Aber, so scheint Lukas es sagen zu wollen: genau so wird Gott Mensch.
Gottes Stärke ist anders
Da entwickelt sich seine ganz andere Kraft und Stärke: bei denen am Rande der politischen Machtzentren, bei denen, die sich fremden Befehlen beugen müssen, bei denen, die ohne feste Stadt und Haus sind, bei denen im Dunkel, bei den Abgewiesenen und Alleingelassenen, bei den der Gesellschaft Abhandengekommenen, bei den Einsamen und Traurigen will Gott sein.
Sein Reich kommt nicht mit Waffen, Krieg und Terror. Es kommt friedlich und schutzbedürftig, nackt und schwach wie ein kleines Kind, und wird sich mit ihm entwickeln. Als ein Menschenleben, das Liebe braucht und Liebe gibt. Denn nur dem anfänglich Schwachen, das sich in Ruhe entwickelt, wohnt die Kraft inne, Zeiten zu überdauern und Stärke zu entwickeln.
Darum, so will Lukas damit sagen: sucht Gottes Sohn an den Rändern Eurer Welt wie in der Krippe zu Bethlehem, sucht ihn bei den Schutzbedürftigen und Wehrlosen, sucht ihn bei denen im Dunkeln, die sich nach Licht und Leben sehnen. Dort werdet Ihr das Heil finden; in aller Einfachheit als Mensch unter Menschen.
Gesegnete Weihnachten!
Ihr Propst Thomas Drope
Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein, Propstei Pinneberg