Momente "Was für ein Vertrauen" - Eindrücke vom Kirchentag

"Was für ein Vertrauen" ist das Motto des Kirchentages, der vom 19.-23. Juni in Dortmund stattfindet. Kirche Hamburg sammelt an dieser Stelle fortlaufend Eindrücke. Momentaufnahmen von Monika Rulfs.

Mittwoch, 19. Juni 2019

Der Kirchentag startet mit einem bewegenden Gedenken an der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache. Von 1933 bis 1945 wurden in diesem Polizeigefängnis (hinten im Bild) Tausende inhaftiert und gefoltert. Direkt davor erinnert ein Mahnmal an die Opfer des NSU (links im Bild). Reden, Tanztheater und szenische Lesungen verbanden die NS-Vergangenheit in Dortmund mit der Bedrohung und Gewalt, die von der rechtsextremen Szene ausgeht. Besonders eindrücklich: Die Schauspielerin Elisabeth Pleß sprach einen Monolog als Elif Kubasik, deren Mann Mehmet Kubasik im Jahr 2006 in seinem Kiosk einige hundert Meter von der Gedenkstätte entfernt vom NSU ermordet wurde. Seine Familie wurde jahrelang selbst verdächtigt. Witwe und Kinder litten und begannen sich zu wehren. Erst 2011 wurde in Richtung Rechtsterrorismus ermittelt. Kirchentagspräsident Hans Leyendecker sagte: „Wir müssen den rechten Terror gemeinsam bekämpfen.“ Und: „Es braucht den Zusammenschluss der Anständigen und die Professionalität der Zuständigen.“

Abend der Begegnung: Unter düsterem Himmel und vor großem begeisterten Publikum sang Anna Loos aus Berlin mit ihrer Band Songs aus ihrem Album „Werkzeugkasten“ – emotional, persönlich, kraftvoll. Eigentlich gings immer um die Liebe. Erstaunlich, wie hell und wie stark bunt die Übertragung auf der Leinwand neben der Bühne leuchtet.

Segen zur Nacht: Immer wieder schön, wie das Licht beim Segen zur Nacht von Kerze zu Kerze wandert. Da hätte es das grüne und blaue Bühnenlicht gar nicht gebraucht. Das Lied dazu: "You’ll never walk alone“. – Erinnerungen an vergangene Kirchentage kommen auf – zum Beispiel an das Kerzenmeer auf beiden Ufern der der Elbe in Dresden.


Donnerstag, 20. Juni 2019

"Respekt! Geschlechterverhältnisse im Diskurs", so der Titel der Diskussion über Sexismus und Geschlechterverhältnisse. Es ging los mit einer Debatte zwischen Soziologin Kuchler und Sexarbeiterin Marlen. „Wir armen Frauen, die bösen Männer“ – das konnte Kuchler nicht mehr hören: Sie kreierte den Hashtag #ohnemich. Denn, so ihre Überzeugung: „Frauen tragen die Hauptverantwortung fürs Schönsein.“ Sie machen bereitwillig mit, indem sie sich schminken und stylen. Zugespitzt: „Wenn eine Frau einen Minirock anzieht, ist sie selbst schuld, wenn sie angegrabscht wird.“ Da pfiff das Publikum. Beifall bekam Kuchler dann allerdings für den Satz: „Ich würde mir eine Welt, in der es nicht so sehr aufs Aussehen ankommt, schöner vorstellen.“ – Kristina Marlen sah das anders. Ob eine Frau auf dem Job ernstgenommen würde, hänge nicht an Zopfpullover, Dekolleté oder Gummistiefel, denn: „Der Grund, warum ich als Frau nicht wahrgenommen werde, ist, weil ich als Frau nicht wahrgenommen werde!“ (starker Beifall) Die MeToo-Debatte findet sie gut, und „Nein heißt Nein“ ist für sie ein wunderbarer Satz. Aber vor allem möchte sie fragen, wie sich das „Ja“ formulieren lässt – für die Erotik, das Begehren, die Lust. „Ich wünsche mir ein freudigeres Moment diesen Raum zu gestalten, der nicht geprägt ist von Scham und Schuld, sondern von Freude am eigenen Körper.“

Am Ende des interessanten Podiums war Bischöfin Kirsten Fehrs dran. Um den Sexismus zu überwinden, sei es wichtig, einen gemeinsamen Nenner zu finden. In der Kirche heiße der „Wir sind eins in Christus“. In der säkularen Welt: „Wir sind Menschen mit unverlierbarer Würde. Die Würde ist der Kern, den es wiederzufinden gilt.“ Befragt wurde sie dann vor allem zu dem Thema, für das sie in der evangelischen Kirche Expertin ist. Ihren Erkenntnissen aus der Beschäftigung mit sexuellem Missbrauch folgte das Publikum gespannt und berührt.

Im Nachbarzelt ging es wenig später um "Heilige Texte – Ewige Wahrheiten?!" Brilliant und unterhaltsam verhandelten vier Theologie-Professor*innen zweieinhalb Stunden über Bibel und Koran – als Gottes Wort in Menschenwort. Als "Anwalt des Publikums" fungierte Propst Thomas Drope. Er las und ordnete die Zettel mit den Fragen und Kommentaren des Publikums und wählte aus, was er an das Podium weitergab. Zum Beispiel die Frage: „Ab wann haben Sie den Koran selbst verstanden?“ Khorchide, der schon als Siebenjähriger den Koran rezitierte: Immer noch nicht! Auch ein gut sprechender Araber verstehe Vieles nicht. Und so ging es weiter, etwa mit der Frage: "Wie kann der Koran ausgelegt werden hinsichtlich der Stellung der Frau?“ Die Stellung der Frau im Koran hänge von uns ab, wie wir den Koran lesen. Auf die Frage, ob im Alten wie neuen Testament und im Koran denn der selbe Gott gemeint sei, antworten die Teilnehmer mit einem einmütigen "Ja". Zur Frage an die christlichen Theolog*innen, ob es das Christentum auch ohne Auferstehung gäbe: Katholik Wolf und der Neutestamentler Strutwolf sind sich einig: Nein, denn die Auferstehungsbotschaft ist die Kernbotschaft des Christentums.

Die Fragen des Publikums bringen die Anwesenden dazu, sich klar zu positionieren. Wolf bezieht auch so Stellung zu Themen, etwa: „Ein Problem unserer katholischen Kirche ist, dass sie sich in einem klerikal-hierarchischen Männerbund ausdrückt.“ oder: „Am Ende ist Gott immer größer als die Kirche – besonders die katholische Kirche.“ Und er dankte Khorchide für sein Dasein: „Weil es jetzt die islamische Theologie gibt, darf es auch weiter die christliche Theologie geben; und sie wird nicht ersetzt durch die Religionswissenschaft!“

 


Freitag, 21. Juni 2019

Bibelarbeit mit Kulturanthropologin Prof. Aleida Assmann. Nach der dichten Auslegung der Geschichte von Abraham und Isaak in einer wegen Überfüllung geschlossenen Reinoldi-Kirche ist klar: Das ist das Tolle am Kirchentag: Fachleute blicken mit ihrem speziellen Wissen und ihrer ganzen Kompetenz an einem Morgen alle auf die gleiche Bibelstelle. Was für einen weiten Raum eröffnen sie da! Aleida Assmann analysiert zunächst sorgfältig die Geschichte als Erzählung mit neun deutlich getrennten Episoden. Sie interpretiert die Geschichte als Herstellung von Symmetrie in der Beziehung zwischen Gott und Abraham: Erst als Abraham nicht mehr nur Empfänger, sondern auch Gebender ist, bereit, das ihm Wichtigste zu opfern, ist der Bund symmetrisch und wirksam. Dann blickt sie auf die Interpretationen anderer. Sie spielt Lieder von Bob Dylan, Joan Baez und Leonard Cohen ein, die sich alle auf diese Geschichte beziehen. Und sie legt dar, was Erich Auerbach („Mimesis“), Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“) und Aharon Agus (The Binding of Isaac & Messiah – Law, Martyrdom and Deliverance in Early Rabbinic Religiosity“) aus der Geschichte ziehen. Zum Schluss sagt sie, immer wieder neu stellen müsse man diese Frage: „Dürfen wir zulassen, dass religiöse Prinzipien ethische Prinzipien über den Haufen schmeißen?“ Und sie endet mit zwei Stimmen aus der Serie des Deutschlandfunks „Mein Grundgesetz“, die begründen, warum ihnen jeweils eine Stelle im Grundgesetz besonders wichtig sind: Artikel 147 („Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“) und der Beginn der Präambel: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen...“ Wie, gut, so die Stimme, dass das Grundgesetz Gott einbeziehe als Instanz, die über uns steht.

Und nun geht es weiter zu "Journalismus in Zeiten von Fake, Lügen und großer Gereiztheit". Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, wollte beim Kirchentagspublikum für einen Journalismus werben, der informiert, nicht missioniert. Vor vollem Opernsaal berichtete er aus seiner journalistischen Praxis, etwa von seinen Rollen als Chronist des Mauerfalls und als Journalist im Netzwerk der globalen Medienkooperation, deren Ziel es war, die Praktiken der außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte aufzudecken (Stichwort: Panama Papers). Er betonte die Regeln, nach denen in seinen Augen Qualitätsjournalismus arbeitet. Dazu gehören: Nachricht und Kommentar trennen, sich der Beschleunigung und der ständigen Hypernervosität entziehen, Missstände aufdecken. Aber er räumte auch ein, dass die Medien, für die er gearbeitet habe oder arbeite, anders als etwa die New York Times, eigene Fehler nicht korrigieren. Und auch die eigenen digitalen Praktiken nicht offenlegen.

Schlechter Journalismus habe viel mit Populismus gemeinsam: Beide arbeiten damit zuzuspitzen, Widersprüchliches wegzulassen, notwenige Fakten wegzulassen, zu emotionalisieren und nicht nach Lösungen zu suchen. Wollten die Nutzer, Leser, Zuhörer, Zuschauer den Überblick behalten, sollten sie nach abweichenden Meinungen suchen, ab und zu in eine andere als die gewohnte Zeitung schauen oder einen anderen Sender einschalten. Sie sollten offen sein und sich merken, wer ihnen was vorhergesagt habe; und sie sollten wählerisch sein, wem sie ihr Vertrauen schenken. Er schloss mit der Aufforderung, sich von der Rechthaberei zu verabschieden. „Radikalität haben wir genug. Verteidigen und bewahren wir uns den mühsamen und schwierigen Weg zum Kompromiss Die Bereitschaft Brücken zu schlagen, ist von besonderer Bedeutung.“ – Kirchentagsveranstaltungen, auch Vorträge, sind ja fast immer von Musik gerahmt. Die Vokalgruppe „Onair“ aus Berlin nahm die Opernbühne mit großem Selbstbewusstsein ein und bekam gewaltigen Applaus.


Samstag, 22. Juni 2019

Beim politischen Nachtgebet am Donnerstag legte Martin Kolek von Sea-Watch Zeugnis über die Seenotrettung ab. Die Kirchentagsaktion „Jeder Mensch hat einen Namen“ wurde vorgestellt. Zwei Tage lang sollten Menschen die Namen von Toten von Karten ab- und auf große Transparente schreiben. Von Menschen, die an den europäischen Außengrenzen ums Leben kamen. Mehr als 35.597 seit 2002. Viele hat man irgendwann tot aufgefunden. Meist im Mittelmeer, und sie bleiben namenlos.

„Tot aufgefunden, 27/06/06, 1 Mensch (boy)“ – so wurde des Todes eines Jungen gedacht, von dem man Name und Alter nicht weiß. Manchmal gibt es einen Namen, manchmal sind ganze Gruppen namenlos. Die Kirchentagsbesucher*innen schreiben langsam und sorgfältig, füllen ein Kästchen nach dem anderen. Am Samstagnachmittag wurden die Transparente am Turm der Reinoldikirche befestigt.

Rausgehen, dahin, wo die Leute sind. Sich zeigen, auf irgendeine Art Kontakt zu Menschen herstellen und ihnen anbieten, über Gott und Glauben zu reden – das ist die Idee von "Pop Up Church". Das Format haben Vikarinnen der Nordkirche entwickelt. Trotz saunaartiger Hitze brachten sie in kurzer Zeit sieben Gruppen à fünf Leute dazu, Pop-Up-Church-Ideen zu entwickeln: Wo könnte man was machen, um mit wem in Kontakt zu kommen? Essen im Park, zum Spielen einladen vor dem Edeka, zwei Stühle an einen Platz stellen, Kerzen anzünden im Bahnhof... Manche Ideen waren gut, andere weniger, aber alle wurden schnell und lustig präsentiert. Zum Ende das Lob eines Teilnehmers: „Auf jeden Fall war dies endlich mal ein richtiger Workshop!“

Ein Predigt-Slam ist unterhaltsam und anregend. Vor allem, wenn er so leicht und humorvoll moderiert wird wie dieser – von Johanna Klee, Jugendpfarrerin aus Braunschweig (1.v.r.) und Dominik Bartels, Poetry Slammer aus Helmstedt (mit Mikro). Es gibt drei Regeln: Jede Predigt ist maximal fünf Minuten lang. Alle müssen ihre Texte selbst geschrieben haben und so aussehen, wie sie sonst auch, also nicht verkleidet. Für das Publikum gilt: „Respects the poets“. Buhen ist out, Beifall in allen Formen erwünscht. 

Es ging los mit dem „Opferlamm“, einem Beitrag außer Konkurrenz, damit sich die Prediger*innen in den Raum einfühlen und Publikum und Jury einen Maßstab für Applaus und Wertung entwickeln konnten. Die zehnköpfige Jury saß in der katholischen Franziskanerkirche verteilt, mit Wertungszahlen von 1 (na ja) bis 6 (super). Das Motto des Kirchentags „Was für ein Vertrauen“ gab das Thema für die neun Kurzpredigten vor. Am wörtlichsten dran war Rebekka Weinmann, die sich an der Vorsilbe „ver“ versuchte: sie verarbeitete ihr Verhältnis zu ihren „Verursachern“ (ihren Eltern, die zuhörten) in (letztlich) gegenseitigem Vertrauen. Katrin Berger begeisterte zunächst mit einer Predigt über Psalm 23; bei der Stichwahl verglich sie das Balancieren auf einer Slackline und den drohenden Absturz mit der Geschichte von Petrus, der auf dem Wasser laufen will und dann zu versinken fürchtet.

Bespielt wurde der Pavillon vier Tage lang von der ehemaligen Pressereferentin der Bischofskanzlei Schleswig, Elisabeth Most-Werbeck, und von Silke Roß, Pressereferentin im Zentrum für Mission und Ökumene. Sie erzählten, dass sie jeden Tag mehrere Ordner mit grünen Zetteln voll guter Nachrichten füllten, die Besucher*innen an den Holzbaum in der Mitte gehängt hatten.