Reportage über Armut – die Pinneberger Tafel „Uns geht es vor allem um Menschlichkeit“

Der Lautstärke-Pegel steigt. Menschen aller Alterstufen stellen sich an. Donnerstag ist der Tag, wo sie ihre Rucksäcke, Tüten und Einkaufstaschen mitnehmen ins Gemeindehaus der Lutherkirche in Pinneberg. Um 11 Uhr dürfen die Ersten in den Raum mit den Lebensmitteln. Die ganze Woche haben die ehrenamtlichen Helfer der Tafel die Supermärkte und Wochenmarktstände abgeklappert und Lebensmittel eingesammelt. Das ist schon eine logistische Höchstleistung. Denn hier sind nur Ehrenamtliche am Werk. 40 Männer und Frauen insgesamt.

 

Dorothea Hofmann ist die Frau der ersten Stunde, als die Tafel vor acht Jahren gegründet wurde. Sie gehört zu der Handvoll Leute aus der Kirchengemeinde, die die Organisation macht. Hofmann ist für die Ausgabe der Lebensmittel zuständig, andere kümmern sich um Lagerung, Abholung usw. Warum sie das macht? Sie persönlich habe nie in Armut gelebt, gerade deshalb fühlt sie sich verpflichtet. Bei der Tafel gehe es wirklich um das Nötigste zum Leben. „Wir versuchen aber nicht nur Lebensmittel zu verteilen, uns geht es vor allem um Menschlichkeit“, sagt sie. Sie wolle nicht nur in der Kirche sitzen und von Gottes Liebe erzählen. „Sondern ich will auch etwas tun. Das gehört für mich untrennbar zusammen.“

 

Nach 20 Minuten kommt die nächste Gruppe in den Raum mit den Lebensmitteln. Auch arbeitslose Jugendliche helfen mit bei der Ausgabe mit. Keine einfache Aufgabe, dass weiß auch Angelika Heidorn-Riemenschneider, ihre Betreuerin. Die Jugendlichen lernen hier, sich auf den Berufsalltag vorzubereiten. Dazu zählen auch Pünktlichkeit, Höflichkeit und Verlässlichkeit. „Und sie entwickeln ein neues Selbstbewusstsein“, sagt Heidorn-Riemenschneider, die die einzige Festangestellte in dem Projekt ist.

 

Die Arbeit verändert auch die Luther-Kirchengemeinde. Pastor Harald Schmidt weiß, dass seine Gemeindemitglieder stolz sind auf ihre Tafel. Helfer aus der Kirche unterstützen den Dienst an den Ärmsten auch mit einem Wohnungslosen-Frühstück, das hier kurz „Mittwochstreff“ genannt wird. 50 Brötchen und 2 Kilo Käse und Aufschnitt spendiert die Gemeinde jede Woche. 20 bis 30 Gäste kommen regelmäßig in ein improvisiertes Café. So ist die Kirche auch ein sozialer Treffpunkt geworden.

 

Einfach sei es nicht immer gewesen, berichtet der Pastor. Vorurteile mussten auf beiden Seiten abgebaut werden. Ziel sei es aber immer gewesen, den Tafel-Gästen auf Augenhöhe zu begegnen. Deshalb heißen die Gäste bei der Tafel auch Kunden.

 

Auch wenn die Arbeit vielen armen Menschen hilft, dürfe man eines nicht vergessen: „Der Skandal ist, dass es Tafelarbeit überhaupt geben muss“, unterstreicht er. Denn schließlich sei der Sozialstaat für das Gemeinwohl verantwortlich, dass alle Menschen das haben, was sie zum Leben brauchen. Er habe Angst, dass diese Sozialarbeit der Kirche ausgenutzt werde. Dass die Tafel Lücken schließen müsse, für die eigentlich der Staat zuständig sei. „In dem Moment, wo die Behörden Lebensmittel-Bezugsscheine für die Tafeln ausgeben würden, schließe ich unsere Tafel. Sofort.“

 

Mechthild Klein (www.kirche-hamburg.de)