In der Diakonie-Beratungsstelle Männersache bekommen Männer und männliche Jugendliche Hilfe, die gewalttätig sind. Ziel ist ein Leben ohne Gewalt. Die Arbeitsstelle ist mittlerweile überlaufen. kirche-hamburg stellt dieses Projekt vor
Eigentlich hat Thomas Karrasch das ganze Jahr über viel zu tun: Immerhin 46 Männer hat er seit Jahresanfang schon beraten und therapiert, oft über Wochen und Monate. Doch in der Vorweihnachtszeit geht es in der Diakonie-Beratungsstelle für Männer in Norderstedt etwas ruhiger zu. „In dieser Zeit werden in Familien noch mehr als sonst Alltagskonflikte vermieden, gleichzeitig steigt aber der Stress“, sagt Karrasch.
Wenn es schlecht läuft, entlädt der sich dann an Weihnachten. „Bei vielen Familien läuft Weihnachten nicht ganz so harmonisch ab, wie sie es sich vorher gewünscht haben“, sagt der 58-Jährige Psychologe. „Es werden relativ viele familiäre Konflikte ausgetragen.“ Und wenn dann einer ohnehin zu Gewalt neigt, schlägt er zu. An Weihnachten häufiger als sonst im Jahr, so jedenfalls Karraschs Beobachtung.
Und dann? Was tun, wenn es geknallt hat? „In vielen Fällen kann es sinnvoll sein, wenn sich der Mann ein paar Tage raus nimmt“, rät Karrasch. Raus aus der Familie, raus aus der Wohnung – um Raum zum Verarbeiten zu geben. „Wenn er das nicht macht, würde ich die Polizei rufen.“
Geschickt vom Jugendamt oder dem Bewährungshelfer
In beiden Fällen kann Thomas Karrasch allen Beteiligten langfristig helfen – indem er dem Schläger hilft, sein Verhalten zu analysieren und zu verändern. Denn in seine Beratungsstelle kommen vor allem Männer, die ein Problem mit Gewalt haben. Solche, die zuhause ihre Frauen oder ihre Kinder schlagen. Das Motto: „Wenn ein Mensch Gewalt erfährt, gibt es jemanden, der diese Gewalt ausübt. Ihm zu helfen, schützt auch das Opfer.“ Manche Männer kommen von sich aus nach Norderstedt, die meisten werden allerdings geschickt. Entweder von Gerichten, Jugendämtern oder Bewährungshelfern. Manchmal auch von Freunden oder vom Opfer selbst.
Am Anfang der Beratung steht immer die Suche nach den Gründen für ihr Verhalten. „Sie können sich erst verändern, wenn sie verstanden haben, warum sie das tun“, sagt Karrasch. Und bei fast allen, die zu ihm kommen, seien diese Gründe ähnlich: Die Männer würden durch ihre Gewalttaten Gefühle wie Angst oder Hilflosigkeit abwehren wollen. „Männer haben es in aller Regel nicht gelernt zu erleben, verletzt zu sein und sich hilflos zu fühlen“, sagt Karrasch. Erst recht könnten sie diese Gefühle nicht kommunizieren – und flüchteten sich dann in Stresssituationen in Gewalt.
Ein bisschen klingt das so, als wären die Schläger zugleich auch Opfer. Und ja, Karrasch sieht sie auch als Opfer – ihrer eigenen Erziehung. Das sei aber keinesfalls eine Entschuldigung für ihr Verhalten, betont er: „Wenn ein Mann jemanden schlägt, dann trägt er dafür Verantwortung – und zwar ohne Wenn und Aber.“
Durchschnittlich 25 Sitzungen braucht der Psychologe, bis die gewalttätigen Männer sich im Griff haben – wenn es gut läuft. Ein Dreivierteljahr müssen sie dafür wöchentlich zu ihm kommen. Oder auch länger, je nachdem, wie verfestigt ihr gewalttätiges Verhalten ist.
Erkennen, dass hinter Kinderpornos Missbrauch steckt
Es kommen aber nicht nur Männer in die Norderstedter Beratungsstelle, die zuschlagen. Manche werden auch dorthin geschickt, weil sie Kinderpornographie auf dem Computer angeschaut hatten. „Indirekte Grenzverletzung“ nennen Experten das dann. „Den Männern wird meistens hier in der Beratung klar, was neben ihrem eigenen Erregungserleben in der realen Welt passiert ist“, sagt Karrasch. „Dass hinter jedem Bild, dass sie angeguckt haben, reales Missbrauchserleben eines Kindes steckt.“
Diese Erkenntnis sei ein wichtiger Baustein in der Arbeit, eine Verhaltensänderung zu erreichen. Die meisten Männer, die Kinderpornos anschauen, seien gar nicht pädophil, beobachtet Karrasch: „Dann gilt es herauszufinden, was die wahren Motive sind, also für welches Problem dieses Verhalten eine Lösung darstellt.“ Dahinter könne vieles stecken: Von der Unzufriedenheit mit dem eigenen hohen Alter bis hin zum jahrzehntelangen Misserfolg bei der Annäherung an Frauen. „Wie kann für dieses Problem eine andere Lösung gefunden werden?“, versucht Karrasch dann zusammen mit dem Mann in der Beratung herauszufinden.
Ausbau der Beratungsstelle geplant
Sich von Thomas Karrasch helfen zu lassen, kostet viele nicht nur Überwindung, sondern auch Geld. 80 Euro müssen Klienten pro Sitzung auf den Tisch legen, sofern keine Institution sie geschickt hat und die Kosten übernimmt. Kommen die Männer aus dem Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein, übernimmt die Diakonie die Hälfte davon. Die Chance, sich die Beratung als Psychotherapie von der Krankenkasse erstatten zu lassen, gibt es laut Karrasch nicht – schließlich sei Gewalttätigkeit keine Krankheit.
Der studierte Psychologe hat die Beratungsstelle Anfang 2016 aufgebaut, seit diesem Jahr leitet er sie hauptamtlich. Der Andrang ist so groß, dass er inzwischen darüber nachdenkt, einen weiteren Therapeuten einzustellen. Er selbst ist an vier Tagen in der Woche von 8 bis 17 Uhr vor Ort. „Mehr möchte ich in dem Feld auch nicht arbeiten“, sagt er. „Man muss das, was man hier hört, auch selbst verdauen.“