"Streit kann dem Miteinander dienen"

Streit ist anstrengend, aber auch produktiv

Hamburg - Die fünf Hauptkirchen widmen dem Thema „Gott zum Streit“ im August und September eine Vortrags- und Predigtreihe. Dabei geht es um Themen wie den Kirchenbau und die Atomkraft, um die Wahrheit und den rechten Glauben. Welche Bedeutung hatten und haben diese Auseinandersetzungen für die Kirchen in der Stadt?

Streit in der Kirche hat Tradition: Schon vor 240 Jahren stritten sich der Katharinen-Hauptpastor Johan Melchior Goeze und der Dichter Gotthold Ephraim Lessing. Allerdings nicht lautstark, sondern per Brief. Beim „Fragmentenstreit“ ging es auch um das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Brauchen wir Streit, auch wenn niemand gerne ein Verlierer ist? Robert André, praktischer Philosoph aus Hamburg, sagt Ja.

Warum streiten wir uns so ungern?

Streit ist mit einem Tabu belegt. Wer sich streitet, geht aus sich heraus, verliert subjektiv gesehen vielleicht die Kontrolle und damit seit Gesicht. Er hat Angst, seinem Ansehen zu schaden. Doch Streit ist eine wichtige Form, seine Interessen wahrzunehmen. Zunächst muss man diese jedoch erkennen. Das ist manchmal gar nicht so leicht.

Wozu nützt Streit?

Durch Streit wird sichtbar, was vorher unsichtbar war. Die meisten Konflikte haben eine Vorgeschichte, sie haben unter der Oberfläche geschwelt. Durch den Widerspruch kann sich Neues freilegen. Wir haben die Chance, uns weiterzuentwickeln.

Manche Menschen legen es geradezu auf Streit an.

Ja, jeder Mensch hat ein anderes Temperament. Mancher vertritt sich eher laut, der andere zurückhaltend. Bei Politikern ist eine konfrontative Art häufig eine Inszenierung: Man provoziert, um gehört zu werden und seinen Marktwert zu erhöhen.

Gibt es guten und schlechten Streit?

Wir sind mitunter selbst voller Widersprüche. Streit schärft die Wahrnehmung, für einen selbst und für die Position des anderen. Das ist das Gute. Wenn der Streit einen dazu bringt, dass man die Position des anderen sehen kann und sich auch selber akzeptiert fühlt, dann war er sinnvoll. Streit ist schlecht, wenn er verhärtet. Wie es in manchen Partnerschaften passiert, wenn sich Themen immer und immer wiederholen. Oder  - wie gerade aktuell - auf politischer Ebene im Gaza-Streifen.

Kann man zugleich streitbar und friedfertig sein?

Es gehört Mut dazu, unangenehme Themen anzusprechen. Insofern ist Streit zunächst unangenehm. Aber wenn er produktiv ist, kann er einem konstruktiven Miteinander dienen.

Vortrag, Lesung und Gespräch

Dem „Fragmentenstreit“ zwischen Gotthold Ephraim Lessing und dem Katharinen-Hauptpastor Johan Melchior Goeze widmet sich St. Katharinen am Mittwoch im Rahmen der Hauptkirchenvortragsreihe „Gott zum Streit“. In einem öffentlichen Briefwechsel stritten die beiden Gelehrten zwischen 1774 und 1778 um das Verhältnis von Glaube und Vernunft und die Frage nach der Wahrheit. Ein Abend mit Vortrag, Lesung von Originaltexten und Gespräch.
 
Mitwirkende: Dr. Peter Stolt, Hauptpastor emeritus, David Gravenhorst, Regisseur und Schauspieler, Marc Letzig, Schauspieler und Dozent an der Hochschule für Musik und Theater, Dr. Robert André, Praktischer Philosoph und Dr. Ulrike Murmann, Hauptpastorin und Pröpstin.
Zeit:
Mittwoch, 3. September, 19.30 Uhr
Ort:
Hauptkirche St. Katharinen, Katharinenkirchhof 1