Der mittelalterliche Dom am Speersort öffnete am 31. Oktober 1717 seine Portale. Männer und Frauen, vor allem aus dem Hamburger Bürgertum, strömten zum Gottesdienst. Sie feierten 200 Jahre Reformation.
Die Festmusik dazu hatte Johann Mattheson (1681-1764) komponiert, er war Operntenor und später Musikdirektor am Dom. Der Titel seines Werkes: „Der reformierende Johannes“.
Das könnte das Ende der Geschichte sein – der Dom wurde 1804 abgerissen, das Stück lediglich 1935 ein weiteres Mal in Breslau aufgeführt. Doch sie geht weiter.
Zum 500. Reformationsjubiläum bringt Kreiskantorin Gudrun Fliegner aus Niendorf das Werk mit Kantorei, Orchester und Solisten am Sonntag in der Kirche am Markt zu Gehör.
Die Noten lagen nur in Handschriften vor
Darauf gebracht hat sie ihr Bremer Kollege Jörg Jacobi. Der hatte gezielt nach Werken zu Reformationsjubiläen der vergangenen Jahrhunderte gesucht. Fündig wurde er in der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (Stabi).
Dieser hatte Mattheson schon zu Lebzeiten seine Werke vermacht. Bevor es losgehen konnte, musste Jacobi allerdings die Handschriften per Computer in aufführungstaugliche Noten übertragen. In dieser Form landete das Oratorium bei Kreiskantorin Gudrun Fliegner.
Sie hört sich unbekannte Werke normalerweise auf CD oder YouTube an und verschafft sich so einen ersten Eindruck davon. Jetzt hatte sie lediglich den Notentext. Sie erforschte ihn am Klavier, stellte sich Orchester- und Chorklänge dazu vor – und war überzeugt.
Eine für Hamburgs Musikleben wichtige Figur
„Mattheson war ein Name zu seiner Zeit“, sagt Fliegner. Als Zeitgenosse Georg Friedrich Händels und Johann Sebastian Bachs war er eine für Hamburgs Musikleben wichtige Figur. Davon zeugt auch, dass er in der Gruft des Michel begaben liegt.
Sein Oratorium erinnert Fliegner im Stil an Händels Art zu komponieren und die Stimmen zu führen. Das kommt wohl nicht von ungefähr: Die beiden Komponisten kannten sich gut, sie waren in einer Art Hassliebe miteinander verbunden.
Während Bach als Thomaskantor eine Kantate nach der anderen komponierte und Händel als Opernproduzent sein Geld verdiente, verlegte sich Mattheson im Laufe seines Lebens jedoch auf andere Tätigkeiten – zumal er in späteren Jahren zunehmend an Schwerhörigkeit litt.
Er galt Universalgelehrter, schrieb, übersetzte und gab Zeitschriften heraus. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass sein kompositorisches Werk versank – und, anders als etwa das Bachs, bislang noch nicht in großem Stil wiederentdeckt wurde.
Auch das Libretto ist besonders
Vielleicht ist die Aufführung am Sonntag ein erster Schritt? Denn nicht nur die Komposition kann aus Fliegners Sicht mit den großen Werken der Zeitgenossen mithalten. Auch das Libretto aus der Feder Johann Georg Glauches (1699-1745) ist besonders.
Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe treten als Personen auf. Ein „Lutheraner“ führt als Erzähler durch das Geschehen. Luther wird nicht mit dem Messias verglichen, wohl aber mit Johannes dem Täufer, der den Weg für Jesus bereitet – daher der Titel.
Die rund 60 Sänger des Chores probten seit Januar mit Entdeckerfreude, erzählt Fliegner. Wird „Der reformierenden Johannes“ ab sofort zu ihrem Repertoire gehören? „Das fragen Sie mich besser nach der Aufführung“, sagt Fliegner und schmunzelt. „Ich freue mich jetzt erst einmal darauf, das Werk komplett zu hören.“
„Der reformierenden Johannes“ von Mattheson und das „Gloria“ von Vivaldi
Zeit: Sonntag, 23. April, 17 Uhr
Ort: Kirche am Markt, Hamburg-Niendorf
Mitwirkende: Tanya Aspelmeier (Liebe) und Elisabeth Lehmann (Hoffnung), Sopran
Stephan Zelck (Lutheraner) und Simon Kannenberg (Messias), Tenor
Konstantin Heintel (Johannes) und Tom Kessler (Glaube), Bass
Stephanie Klein, Alt
Kantorei Niendorf und collegium instrumentale auf historischen Instrumenten
Tickets: zu 15 € (10 €) nur an der Abendkasse, Einlass ab 16.30 Uhr