Interview Ökumene heißt neue Formen des Austausches zu finden

Was heißt Ökumene – versteht man darunter vor allem den Dialog der christlichen Konfessionen?


Severin-Kaiser: Bei der Ökumene kommt dem Wortsinn nach die gesamte Welt in den Blick. Es gibt eine `kleine´ und eine `große´ Ökumene. Die `kleine´ Ökumene ist der innerchristliche Austausch. Und es gibt die interreligiöse Ökumene, also den Dialog zwischen den Weltreligionen. Der Austausch beinhaltet auch ein sich spiegeln, sich befragen, sich füreinander interessieren, sich kritisieren und damit gemeinsam weiter kommen. Dazu gehört auch schmerzhafte Fragen zu stellen.


Wo liegt die Chance?


Zunächst geht es darum zu versuchen, den anderen zu verstehen, so wie er/sie sich selber sieht. Wir stehen da noch ganz am Anfang. Und man muss sagen, dass es diese Situation in der Kirchengeschichte noch nie gegeben hat. Heute leben bei uns in unmittelbarer Nachbarschaft die allerältesten und die allerjüngsten Kirchen nebeneinander. Dazu gekommen sind auch die verschiedenen Vertreter der großen Weltreligionen.


Wie viele christliche Kirchen/Konfessionen gibt es in Hamburg?


In Hamburg gehören allein zur Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) 34 Kirchen. Das reicht von den Orientalisch Orthodoxen Kirchen bis hin zu Quäkern und Pfingstkirchen. Dabei sind z.B. afrikanisch geprägte Pfingstkirchen mit einem Dachverband vertreten.


Wo liegen die Grenzen der Ökumene?


Der Austausch kann auch enden, wenn man sich nicht weiter versteht. Ökumene heißt auch, dass wir uns über einige Dinge streiten. Um ethische Themen, um Lebensformen, nicht nur die Markerthemen wie Homosexualität oder Abtreibung, sondern welches Gesellschaftsbild haben wir, wie leben wir? Welche Teilhabe haben wir an der Gestaltung der Stadt? Wie gehen wir mit Fremden um? Was ist Gerechtigkeit? Was sind Menschenrechte? Da ist die Friedens- und Umweltthematik. All das muss miteinander diskutiert werden und wir wollen da eine Gesprächsplattform bieten.


Und die Erfolge?


Wir rücken zusammen. Zum Beispiel mit den religiösen Gruppen aus der Türkei: Da gibt es Sunniten, die Aleviten und in Spuren noch die orientalischen Christen, etwa die Aramäer. Die Spannungen, die es in der Türkei gab, die gibt es auch hier. Da müssen wir auch in den Konflikt gehen und versuchen, neue Formen des Austausches zu entwickeln, wie wir hier in der Diaspora auch Grenzen überwinden können. Für mich war es ein großer Moment als wir im letzten Jahr bei den „Kulturwochen Mittlerer Osten“ in der syrisch-orthodoxen Kirche – also mit Menschen aus der Südost-Türkei – da ein gemeinsames Friedensgebet durchführen konnten. Mit Grußworten von der jüdischen Gemeinde, der Schura (Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg) und von den Aleviten. Hinterher waren alle zu einem großem Festmahl geladen. Das war für alle Beteiligten eine richtige Grenzüberschreitung. Als evangelische Pastorin habe ich im Talar in der orthodoxen Kirche eine Ansprache gehalten – das war schon etwas Besonderes. Wie ungewöhnlich dieser Gottesdienst war war, konnten wir an der Erleichterung hinterher wahrnehmen. Das sind Sternstunden der Ökumene.


Und ein Beispiel aus in der innerchristlichen Ökumene?


Abgesehen von den vielen Beispielen gelebter Ökumene in den einzelnen evangelischen Gemeinden. Das Ökumenische Forum in der Hafencity! Da wurde ein gemeinsames Haus verschiedener christlicher Konfessionen im letzten Jahr gebaut – insgesamt 19 Kirchen waren beteiligt. Das war ein erster Schritt zu einer gemeinsamen Repräsentanz. Dort ist heute auch der Amtssitz der ev.-luth. Bischöfin und viele landeskirchliche Einrichtungen sind dort vertreten. Trotzdem leben in der Hausgemeinschaft des Ökumenischen Forums Menschen aus verschiedenen Kirchen unter einem Dach zusammen. Wir müssen die christliche Repräsentanz mit anderen teilen lernen. Das ist eine wichtige Funktion des Projekts.


Was wünschen Sie sich für die Ökumene?


Wir brauchen mehr Orte, wo wir das Gemeinsame inszenieren können. In Holland laden zum Beispiel die Rathäuser die Religionsgemeinschaften ein. Da gibt es in Hamburg noch viel Luft nach oben. Ich würde mir wünschen, dass der gemeinsame Kalender der Religionen in der Stadt überall verbreitet wird. Das zeigt, dass wir uns füreinander interessieren und auch füreinander einstehen können, auch gegenüber Menschen, die mit gelebter Religiosität weniger anfangen können. Bei der Beschneidungsdebatte hatten sich die Kirchen ja sehr deutlich an die Seite der Juden und Muslime gestellt und sind auch in dieser Frage für eine positive Religionsfreiheit eingetreten. – In Bezug auf die Solidarität der christlichen Kirchen untereinander und der verschiedenen Religionen geht sicher noch sehr viel mehr.