Nina ist jetzt Yana, 14, aus Syrien. Auf der Flucht seit einem Jahr – ohne ihre Familie. Sie kann sich nur auf Arabisch verständigen. Für eineinhalb Stunden wird Nina diese neue Identität tragen. So lange dauert der Rundgang durch die interaktive Ausstellung „Der Weg“.
Die hat die Jugendkirche in Flottbek zusammen mit der „jungen akademie für zukunftsfragen“ und einer professionellen Ausstellungsgestalterin entwickelt. Die Jugendlichen erleben nach, was es heißt, seine Heimat zu verlassen. Die Routen sind klassischen Fluchtwegen nachempfunden, über Land und zu Wasser.
Die Schüler drängen sich in ein Boot
Inspiriert wurde die Ausstellung von Aufnahmen des niederländischen Fotografen Ad van Denderen, der seit Mitte der 1980er Jahre Flüchtlinge fotografisch begleitet hat.
Im Erdkundeunterricht hat Nina schon zum Thema Flucht gearbeitet. Dass nur rund zwei Prozent aller Menschen, die weltweit fliehen, überhaupt nach Deutschland kommen, wusste sie jedoch nicht.
„Von einer ,Flüchtlingsschwemme’ kann bei uns nicht die Rede sein“, sagt Tina Jachomowski bei der Einführung im Vorraum der Kirche. Die Religionspädagogin hat die Ausstellung mit entwickelt und begleitet die Schüler mit zwei Kolleginnen hindurch.
Bevor der Weg beginnt, teilt Jachomowski die Schüler in drei Gruppen ein: Zehn werden dicht gedrängt in einem Schlauchboot die Grenze überqueren, zehn im LKW, weitere kriechen durch einen Tunnel.
Sie bauen sich ein Lager aus Pappe
Für die Ausstellung wurde die Jugendkirche umgebaut – viele kleine Räume sind entstanden, die einzelnen Stationen. Auf Trennwände sind großformatig die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von van Denderen gezogen.
Die Station „Notunterkunft“ prägt ein Bild aus Athen: Flüchtlinge, die in einem Lager aus Pappkartons untergekommen sind. Einen Schutz aus Pappe, Gummimatten und Decken sollen sich jetzt auch die Schülerinnen und Schüler aus Ninas Gruppe bauen. Fünf Minuten haben sie dafür Zeit. Was die größten Widrigkeiten sind, wenn man so übernachtet, fragt Jachomowski. „Kälte“, „Angst, dass man beklaut wird“, „kein Klo“, antworten die Schüler.
Dann geht es weiter. Wie kann man sich auf einer Flucht durch fremdes Land und unbesiedelte Regionen orientieren? Was lässt man zurück? Welche Träume und Wünsche begleiten einen? Womit verdient man auf dem langen Weg Geld?
Die Luft im Container wird stickig
Nina durchläuft diese Stationen, bis sie mit ihren Mitschülern in einen Container steigt, die imaginäre Ladefläche eines LKW. Sie setzt sich Kopfhörer auf, lauscht der wahren Geschichte eines Flüchtlings.
Nach zehn Minuten wird die Luft stickig. Endlich können die Schüler den Container verlassen. Vorbei an einer Aufnahme, die ein Röntgenbild eines LKW von der französischen Grenze zeigt: Von den Menschen darin sind nur die Skelette zu sehen.
An der letzten Station wechselt Tina Jachomowski ihre Rolle. Sie ist jetzt nicht mehr Begleiterin, sondern die Frau vom Amt, die über die Zukunft der Geflüchteten entscheidet. Nina zeigt ihre Papiere. Sie spielt ihre Rolle gut: Auf Fragen zuckt sie nur mit den Schultern, als ob sie nichts verstünde.
Nur geduldet
Die Frau drückt ihr einen Stempel in den Pass: „Duldung“ steht darauf und „Abschiebung nur aufgeschoben“. Sie weist Nina den Weg in einen Aufenthaltsraum.
Immer mehr Schüler sammeln sich dort. „Wieso werde ich nur geduldet?“, fragt eine von ihnen. Sie schaut in ihre fiktive Biografie: „Ich spreche doch Englisch, habe einen guten Schulabschluss und Verwandte in Kanada.“
Auch Nina überlegt, zurück zu gehen und die Frau vom Amt zu fragen, warum sie nur geduldet ist. Schließlich ist sie laut Pass erst 14 Jahre alt. „Doch wie soll ich mich verständigen?“, fragt sie und bleibt sitzen.
Die Schüler sammeln sich im Warteraum: die mit Duldungen und andere, die Asyl bekommen haben. Wer abgelehnt wurde, muss einen anderen Ausgang nehmen.
„Wie stark müssen Menschen sein?“
Die nachgespielte Flucht ist zu Ende. Die Schüler geben ihre Identitäten ab und kommen im Vorraum der Kirche zusammen. Sie sprechen darüber, was sie erlebt haben. Und sie erfahren, wie man sich engagieren kann.
Ein sensibler Umgang sei besonders dann wichtig, wenn Jugendliche mit eigenen Fluchterfahrungen unter den Schülern oder Konfirmanden seien, sagt Jachomowski. „Man kommt hier dichter an die Thematik, als man es von einer Ausstellung erwartet.“
Nina sagt, die Situation im Container habe sie beklemmt. „Wie stark müssen Menschen sein, das alles auszuhalten?“, fragt sie. Sie will sich in der Flüchtlingsunterkunft in ihrer Nähe erkundigen, ob ihre Hilfe gebraucht wird. „Vielleicht kann ich Kindern ja beim Deutschlernen helfen“, sagt sie.
Finissage
Die Ausstellung ist für Gruppen bereits ausgebucht. Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, kommt zur öffentlichen Finissage. Erwartet wird dazu auch der Fotograf Ad van Denderen.
Zeit: Freitag, 3. Juli, 18 Uhr
Ort: Jugendkirche im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein, Bei der Flottbeker Mühle 28