Kerstin Lipke, 55, unterrichtet Musik und Religion an der Integrativen Grundschule in Mümmelmannsberg. In ihren Klassen und Chören lernen und singen Kindern aus aller Welt. „Musik geht ins Herz“, weiß sie. Doch welche Lieder singt sie mit muslimischen Kindern zu Weihnachten? Und wie können deren Mitschüler die Klänge etwa der arabischen Musik schätzen lernen?
Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, ist die Grundschullehrerin an diesem Nachmittag ins evangelische Gemeindezentrum Mümmelmannsberg gekommen. Pastor Stephan Thieme hat zu einem Workshop eingeladen. Sein langfristiges Ziel: ein interkultureller Stadtteilkantor, der Menschen und Religionen über gemeinsames Musizieren verbindet.
Die Lieder handeln von Allah, Jehova und Christus
Als ersten Schritt auf dem Weg dorthin hat er Bernhard König engagiert. Der Komponist hat in Stuttgart 2012 das seinen Worten nach bundesweit einzigartige Projekt „Trimum“ initiiert, in dem jüdische, muslimische und christliche Musiker zusammenarbeiten. Sie schaffen gemeinsam mit den Menschen vor Ort neue Lieder und Werke, die von allen gleichermaßen gesungen werden.
Die knapp 20 Teilnehmer kommen aus dem Stadtteil und aus ganz Hamburg: Eine Kantorin ist ebenso dabei, wie eine Musikstudentin, die einen Chor in einer Flüchtlingsunterkunft gründen will. Eine Krankenschwester aus dem benachbarten Altenheim ebenso wie die Vorsitzendes des Kirchengemeinderats, die jedes Jahr das interkulturelle Stadtteilfest mitorganisiert. Sie alle haben in der Praxis erfahren, dass ihnen im Alltag und an Festen einfache Lieder fehlen, die Menschen verschiedenen Glaubens verbinden.
An diesem Nachmittag probieren sie aus, wie das klingen könnte. Bernhard König hat deutsche Weihnachtslieder mit neuen Texten mitgebracht, die von Jehova, Allah und Christus handeln. Und ein bekannter Choral dient als Beispiel, mit „trialogischen“ Strophen. „Schön, wenn man durch geteilte Zeit die Angst vor Andersartigkeit auf sanfte Art entmachtet. Davon wird man sich nicht gleicher, aber reicher“, heißt es darin. Die Teilnehmer stimmen auch ein türkisches Volkslied in deutscher Übersetzung an, das eine zusätzliche Melodie bekommen hat, damit es für alle eingängig ist.
Lust und Neugier, Geduld und zähes Ringen
Was Bernhard König an diesem Nachmittag präsentiert, ist das Ergebnis von Lust und Neugier, aber auch von Geduld und zähem Ringen. Zu unterschiedlich seien die Musiktraditionen, erzählt er. Doch die Trimum-Referenten haben es geschafft, die Dissonanzen produktiv zu nutzen. Sie haben Schätze geborgen, und sich als Musiker mit ihren eigenen und den Traditionen der anderen auseinander gesetzt. Neue Werke sind entstanden und etwa beim Kirchentag in Stuttgart aufgeführt worden. Ein Liederbuch soll bald in Druck gehen.
Am Abend sind die Teilnehmer begeistert, sie wollen entdecken und singen, der Bedarf ist groß. Eine Stiftung hat bereits Geld für weitere Workshops in Aussicht gestellt. Kein rein kirchliches Projekt soll es sein, sondern eins, das vom ganzen Stadtteil getragen wird – das ist Pastor Stephan Thieme wichtig. Bei der Moscheegemeinde vor Ort sei er schon auf großes Interesse gestoßen, erzählt er. Auch Lehrerin Kerstin Lipke wird weiter dabei sein: „Gemeinsam zu singen kann helfen, Fremdheit zu überwinden – das ist gut für unseren Stadtteil.“
Ein Konzert mit dem renommierten irakischen Musiker und Trimum-Referenten Saad Thamir ist für Mitte Mai geplant. Er spielt und singt arabische Kinderlieder.
Zeit: Pfingstmontag, 16. Mai, 12 Uhr
Ort: Gemeindezentrum Mümmelmannsberg, Havighorster Redder 46c