Interview Mystik und Kirche - kein Widerspruch

Frage: Was ist Mystik - haben Sie eine Kurzformel?

 

Hölck: Die Mystik ist uns heute nur in Berichten und ganz persönlichen Zeugnissen zugänglich. Sie sprechen von innigen Erfahrungen, einer inneren und entgrenzenden Begegnung mit Gott in vielerlei Gestalt. Karl Rahners Formel: "Der Fromme der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird gar nicht mehr sein" bildet auch heute noch eine Herausforderung innerhalb der Kirche über unsere eigene (mystische) Gotteserfahrung nachzudenken.

 

Wie geht Mystik mit der evangelischen Kirche und Martin Luther zusammen? 

 

Luther hat sehr früh Berührung mit einer mystischer Frömmigkeit gehabt. Ihm verdanken wir sogar die Neuherausgabe einer mystischen Schrift (Theologia Deutsch). Texte wie die Magnificat-Auslegung, die Freiheit eines Christenmenschen u. a. entspringen einer intensiven lebendigen Gotteserfahrung. Auch Luther verwendet mystische Sprachbilder (Brautmetaphorik und ähnl.). Luther ist aber eher der "unbekannte und verkannte Mystiker". Das möchte ich in der Mystikveranstaltung ändern. Die biographischen Beispiele, wie J. Böhme, D. Bonhoeffer und D. Sölle zeigen, dass Mystik und Kirche keine Widersprüche bilden.

 

Mystiker wie Meister Eckhart werden viel zitiert, aber wenig verstanden. Wie gehen Sie mit den sprachlichen Chiffren (z.B. Abschiedenheit) um? 

 

Ich glaube, gerade diese Begriffe können in einer immer schneller und lauter werdenden Welt von ganz neuer Wichtigkeit werden. Eckharts Aktualität ist jedenfalls ungebrochen. Es geht aber auch um eine theologische Erdung von Person und Werk. Die Mystiker werden oft als Schwärmer und Sonderlinge betrachtet. Dies trifft bei den meisten aber keineswegs zu.

 

Was nützt die ganze Theorie der Mystik und Gottesvereinigung, wenn es keinen Weg in die Praxis gibt?

 

In jeder Religion gibt es die Erfahrung des mystischen Erlebens. Dies lässt sich  - wie alle Gotteserfahrung - jedoch nicht verrechnen, nicht garantieren noch verordnen. Die Beschäftigung mit der Mystik kann möglicherweise aber dazu verhelfen, für eine solche Erfahrung neu offen zu werden. Aber auch hier gilt: Gottes Offenbarung ist allein seine Sache! Wir können sehen, hören, fragen, hoffen, uns ausstrecken und beten - und vielleicht so selbst eine mystische Erfahrung machen. Immer aber - sofern sie kommt -  ist sie jedoch eine unverfügbare Gnadenerfahrung!