Ich steige an der Station „Überseequartier“ aus der U4 und kreischende Möwen folgen mir auf dem Fußweg über Behelfsbrücken und fast fertige Bürgersteige zur Shanghaiallee 14. Mein Ziel ist das Ökumenische Forum in der HafenCity.
50 Menschen leben heute in den vier oberen Etagen des siebenstöckigen Gebäudes - Alleinstehende und Familien mit Kindern, Ruheständler und Berufstätige. Einige von ihnen gehören zur Hamburger Gruppe des Laurentiuskonvents, der das Projekt mit aus der Taufe hob.
Vier der Hausbewohner sind jeweils nur für ein Jahr zu Gast in Hamburg und bilden die sogenannte Internationale WG. Im 6. Stock begrüßen mich die 19jährige Bruna Sofie Rahmeier-Pothim aus Brasilien, die 20jährige Rachel Lyons aus Florida und Maria Lauel, die zur Konventgruppe gehört und die Jugendlichen betreut. Ihre männlichen Mitbewohner, der 27jährige Carlos Fraga aus Brasilien und der 19jährige Thando Maziboko aus Südafrika sind leider nicht da.
Für gemeinsame Aktionen bleibt kaum Zeit
In der blitzblanken WG-Küche erzählen die jungen Frauen von ihrem Gemeinschaftsleben. „Wir haben alle vier in der Woche nicht viel Zeit, weil wir arbeiten“, sagt Rachel, die fließend Deutsch spricht, weil sie bereits ein Jahr als Aupair-Mädchen in Hamburg tätig war, bevor sie ihr FSJ in der Methodisten Kirche Altona begann. Bruna bestätigt: „Im Kindergarten muss ich oft schon um 8 Uhr morgens anfangen. Dreimal in der Woche gehen wir alle nach der Arbeit dann noch für 1,5 Stunden zum Deutschkurs.“.
Ein strammes Programm, das kaum Zeit lässt für ausgedehnte gemeinsame Mahlzeiten am WG-Tisch. Die Bewohner essen in der Regel getrennt. In den zwei Kühlschränken verstaut jeder – ebenfalls ordentlich sortiert – seine Lieblingsspeisen. Über ein Whiteboard teilen sich die Mitbewohner mit, wann sie nicht da sind oder welche aktuellen Angebote es im Forum oder in der Stadt gibt.
Zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder neulich zum EM-Gucken, als Rachel einen Beamer organisieren konnte, kommen alle zusammen. „Am Wochenende treffen wir uns gern mit Freunden, die wir bei der Arbeit oder im Deutschkurs kennengelernt haben“, erzählen Bruna und Rachel. Ihr Lieblingsort dafür: Die coole Dachterrasse des Hauses mit Blick auf die Hauptkirchen, die alle Hausbewohner gemeinsam gestalten und nutzen. Hier wird gemeinsam gegrillt, gechillt und gegärtnert.
Die ganze Welt zu Gast in der WG-Küche
Anfang 2012 startete das internationale WG-Projekt in der Hafen-City. Organisiert wird es vom Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche, das Maria Lauel als ehrenamtliche Ansprechpartnerin für die Jugendlichen gewinnen konnte. Sie teilt die Küche mit den jungen Leuten und versteht sich als Ideengeberin und Mediatorin: „Ich mache meine Mitbewohner auf Aktivitäten im Haus aufmerksam und biete Gespräche und praktische Hilfe an. Ansonsten bleibe ich im Hintergrund, denn ich gehöre ja zu einer anderen Generation.“
Da die meisten Gäste zum ersten Mal für längere Zeit ohne Eltern leben, wird ihr mütterlicher Einsatz geschätzt. „Ich fühle mich hier sicherer, weil Maria für uns da ist und ich immer zu ihr gehen kann“, sagt beispielsweise Bruna. In den vergangenen vier Jahren hat Maria Lauel die ganze Welt zu Gast in ihrer WG-Küche gehabt.
„Eine junge Frau und ein junger Mann aus Indien zogen hier als erstes ein“, erinnert sich Maria Lauel. Es folgten Besucher aus Asien, Afrika und Südamerika. Mit vielen blieb sie Kontakt. „Ich habe die Inder sogar schon besucht“, berichtet die 58jährige, die sich heute über Einladungen aus der ganzen Welt freut.
Die Deutschen - freundlich, aber distanziert
Für ihr neues Gastgeberland schwärmen Bruna und Rachel: „Alles ist so sauber und gut organisiert. Und überall die schönen Bäumen und Häuser. Und wenn man orientierungslos auf der Straße steht, kommt sofort jemand und bietet seine Hilfe an. Alle sind freundlich zu uns“, berichten die beiden.
Allein die körperliche Distanz der meisten Menschen ist für die Brasilianerin ungewohnt. „No one hugs you out there“ - niemand umarmt dich da draußen“, bringt Bruna ihr Problem auf den Punkt. „Genau, das ist hart“, bestätigt Rachel, deren Vorfahren aus dem ebenfalls umarm-freundlichen Italien in die USA ausgewandert sind. Und dann schauen sich die Mädchen an und fallen sich spontan in die Arme. „Zum Glück habe wir uns beide und diese tolle Hausgemeinschaft hier“, sagen die jungen Frauen, die sich nach sechs Monaten Zusammenleben als beste Freundinnen bezeichnen.