Frage: Was bedeutet es eigentlich zu meditieren?
Wolfgang Lenk:
Meditation heißt für mich, einfach nur da sein. Das Leben geschehen lassen. Zum Einverständnis und Einklang finden für das, was ist. Und für den Erwachsenen aus dieser Grundorientierung dann handeln. Das bedeutet nicht passiv zu werden, sondern aktiv zu handeln, auch für den Frieden einzutreten.
Frage: Machen Erwachsene andere Erfahrungen als Kinder mit der Meditation?
Lenk:
Ich setze bei der Meditation eher so an, dass ein Meditierender sehr viel von Kindern lernen kann. Dahinter steckt für mich ein Grundverständnis von Meditation.
Frage: Wie sieht das aus?
Lenk:
Ich glaube, was jedes neugeborene Wesen als einziges kann und was jeder Sterbende, wenn er denn in Frieden sterben kann, auf der letzten Wegstrecke seines Lebens lernen muss: Was der rote Faden ist - vom Anfang bis zum Ende – ist das nur Dasein, das Leben geschehen lassen. Der Neugeborene, der angemessen umsorgt ist, hat diese Fähigkeit. Diese Grundfähigkeit des Menschen ist uns Erwachsenen weitgehend verloren gegangen. Unsere Pädagogik setzt da ein, Fähigkeiten zu erlernen, die auf Durchsetzungsvermögen aufbauen, auf das Aneignen von Handlungswissen, mit dem man was werden kann – in der Meditation ist der Fokus mehr auf das einfache Sein gerichtet. Ich glaube, dass die Leistungsfähigkeit möglicherweise eingeschränkt wird, wenn man als Kind zu früh auf Leistung getrimmt wird.
Frage: Was haben Kinder den Erwachsenen voraus?
Lenk:
Kinder bringen beispielsweise die natürliche Fähigkeit mit zu staunen. Ich beobachte das an meinen eigenen Enkelkindern mit welcher Präsenz sie in der Gegenwart leben. Es geht in der Meditation nicht darum, Techniken einzuüben. Sondern die Techniken helfen, präsent zu sein und die verloren gegangene Fähigkeit mit sich selbst eins zu sein wieder zu verankern. Multitasking kann für einen Erwachsenen in bestimmten Situationen hilfreich sein, aber auf Dauer verträgt das keiner.
Frage: Wir leben aber in einer sehr lauten Welt, in der es kaum mal eine ruhige Minute gibt.
Lenk:
Ja, unsere Erwachsenen-Welt ist derartig überformt von einer Flut an Input und Infos, die keiner braucht, Musik, TV, egal was. Es gibt keine Ruhe, in der der Mensch einfach mal nur zu sich finden kann. Natürlich gibt es Schattierungen. Aber unsere Gesellschaft krankt grundsätzlich an einem Übermaß an Informationen, die wir nicht mehr verarbeiten können. Wir leben in einem Übermaß mit Gütern und Strukturen, die unser Leben erdrücken. Also weniger wäre mehr.
Frage: Wahrscheinlich gilt das auch für das Kinderzimmer!
Lenk:
Ich habe von einem Experiment in Kindergärten gehört. Die haben drei Monate ohne Spielzeug verbracht. Das Ergebnis war, dass die ErzieherInnen viel weniger einschreiten mussten bei Konflikten. Die Kinder waren viel kreativer mit Stöckchen und Steinen, viel kommunikativer. Da steckt als Lehre drin, dass die Kinder ihre natürlich mitgegebene Kreativität nicht unnötig verlieren, sondern dass es eher nötig ist, solche Freiräume zu schaffen. Meditationsübungen mit Kindern können genau da einsetzen und Wahrnehmungsübung sein, etwa wenn ein Kind mit dem Finger in der eigenen Hand kleine Kreise zieht. Und das spürt: Ach so fühlt sich meine Hand an.
Frage: Wie kann man Kinder in die Stille führen?
Lenk:
Toben und Stille – beides gehört dazu. Anknüpfen kann man an ganz normale Kinderspiele. Zum Beispiel beim Versteckspielen, dass sie schlicht aushalten können, dass sie nicht da sind im direkten Geschehen, das kann meditativ sein. Da sind ohnehin in Kinderspielen meditative Elemente vorhanden. Oder vorlesen, dass ein Kind im Schoss sitzt, das Lauschen und Hören, das Betrachten der eigenen Hand oder einer Kerze, das sind eigentlich ganz normale, natürliche Vorgänge.
Frage: Kann Meditation auch gegen die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wirken?
Lenk:
Meditation ist nicht Medizin sondern Prophylaxe. Es hat sicher heilsame Nebenwirkungen, auch für solche Probleme. Da würde ich aber niemals Meditation und therapeutische Maßnahmen gegeneinander stellen wollen.
Interview: Mechthild Klein / kirche-hamburg.de
Herzensgebet:
Das Herzensgebet ist eine alte christliche Meditationsformel, die auch die Ostkirche kennt. Sie lautet "Herr, erbarme dich meiner" oder "Christus, erbarme dich meiner!" - sie wird im Stillen gedacht und wiederholt. Wie bei den meisten Meditationsformen strömen anfangs viele Gedanken durch den Kopf, die man aber einfach ziehen lassen soll. Dabei kann sich ein Zustand tiefster Gelassenheit einstellen, der hilft, sich auf eine göttliche Wirklichkeit einzustimmen.