Kommentar Libyen-Flüchtlinge finden keine Herberge in Hamburg

Mit 500 Euro in der Tasche kamen die Afrikaner nach vielen Strapazen im winterlichen Frühjahr als Flüchtlinge nach Hamburg - und fanden Unterkunft in den Quartieren des Winternotprogramms für Obdachlose. Doch diese Notquartiere schlossen Mitte April - und die 300 Flüchtlinge lebten fortan auf der Straße, noch wenig beachtet, bei anfangs leidlich gutem Wetter. Die Stadt bereitete sich auf den 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag vor, der vom 1. bis 5. Mai täglich über 150.000 gutgelaunte Besucher hatte - ein früher Sommer war es in Hamburg Anfang Mai.

 

Unsichtbares Netz der Solidarität

Nur wenige ahnten damals, dass mitten in der Stadt ein Problem schlummerte und wuchs. Wie immer waren es die "Experten des Nahbereichs" in Suppenküchen und Tafeln, in den Notfall-Einrichtungen der Diakonie- und Sozialstationen, in einzelnen Kirchengemeinden, in Stadtteil-Initiativen und mancherlei Spezialisten für alles Halblegale. Weit unterhalb jeder Medienöffentlichkeit gibt es auch in Hamburg ein unsichtbares Netz von Solidarität, das in der größten Not treffsicher funktioniert, weil es von vielen einzelnen geknüpft wird, die offene Augen haben.

 

Doch in Hamburg begann es zu regnen. Es regnete Tage um Tage, Woche um Woche, den ganzen Mai hindurch. Was machen 300 Menschen vom Schwarzen Kontinent in einer fremden Stadt, in der es pausenlos regnet und in der sie keinerlei Perspektive haben? Doch so ist die Frage falsch herum gestellt. Sie muss lauten: Was bietet eine Stadt, die das "Tor zur Welt" sein will, 300 Menschen an, die in ihr Zuflucht suchen? Etwa nichts?

 

Humanitäre Notsituation

Kirche, Diakonie und viele andere Initiativen haben frühzeitig Hilfe angeboten und vielfach gewährt. In Form von Unterbringung, Unterstützung, Verpflegung, Beratung. Seit etwa zehn Tagen laufen entsprechende Verhandlungen über ein Mindestmaß offizieller Organisation, bislang offenbar wenig erfolgversprechend. Diakoniechefin Annegrethe Stoltenberg forderte gemeinsam mit Bischöfin Kirsten Fehrs eine Liberalisierung des Aufenthaltsrechts: "Um humanitären Notsituationen dauerhaft begegnen zu können, braucht es mehr Flexibilität im deutschen und europäischen Flüchtlingsrecht."

 

Doch die Behörde sieht dafür keine Spielräume: "Aufgrund der rechtlichen Umstände haben die über Italien gekommenen Afrikaner hier keine Arbeitserlaubnis und somit auch keine Alternative", erklärte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) am Montag. Daher gebe es für sie "keine andere Alternative, als zurückzufahren". Und: "Es wäre unverantwortlich, falsche Erwartungen zu wecken - die Rückreise ist die einzige Option."

 

Vermeidung von Präzedenzfällen

Offenbar will der Hamburger Senat einen Präzedenzfall vermeiden. Weil sonst unkalkulierbar große Mengen Flüchtlinge von überallher nach Hamburg strömen könnten. Die Stadt sei aber gar nicht zuständig, das Ganze sei wesentlich ein EU-Problem, heißt es aus der Sozialbehörde. Doch Flüchtlinge haben zumeist nicht das Know-How und die Möglichkeiten, direkt mit zuständigen EU-Behörden zu verhandeln. Unter einer regennassen Brücke ohne Handy oder PC-Anschluss verhandelt es sich schlecht mit Brüssel. Und die richtigen Telefonnummern hat man auch nicht unbedingt parat.

 

In der Talkshow-Öffentlichkeit war bislang immer der Eindruck erweckt worden, dass es in der EU Experten für die erwarteten Klima- und Armuts-Flüchtlingsströme der kommenden Jahrzehnte gibt - weil die Prognosen dafür je nach Umfrage in die Zehn- oder Hunderttausende gehen. Dazu würden natürlich auch Programme oder zumindest konkrete Vorstellungen gehören, wie mit diesen Flüchtlingsströmen umzugehen ist.

 

Leider scheint dieser talkshow-vermittelte Eindruck falsch zu sein. Es gibt offenbar niemanden, der irgendwelche Pläne hat, für Hunderttausende schon gar nicht. Allein die 300 Afrikaner auf Hamburgs Straßen zeigen es.