Man muss schon genau hinschauen, um Menschen auf ihren Bildern zu entdecken. Wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden?
Als ich einmal morgens sehr früh in der Stadt unterwegs war, sah ich am Jungfernstieg einen Obdachlosen, der neben seinem Rollstuhl auf dem Boden schlief. Die Sonne ging gerade über der Binnenalster auf. Dieser schöne Morgen, verbunden mit der Tragik dieses Menschen, der offensichtlich hier kein Zuhause hat, ließ mich lange nicht los.
Wie wurde dieser Moment zum Thema ihrer Arbeit?
Meine eigene wirtschaftliche Situation wurde zu dieser Zeit immer schwieriger. Meine existenziellen Sorgen verdichteten sich. Vielleicht fühlte ich mich den Obdachlosen, die ihre Existenz in den Nischen unserer Städte verbringen, auch dadurch nahe.
Über einen Zeitraum von zwei Jahren waren Sie immer wieder frühmorgens in der Innenstadt unterwegs, im Sommer wie im Winter. Was haben Sie entdeckt?
Die guten Schlafplätze und Nischen. Mit der Zeit konnte ich die Zeichen lesen. Wenn ich zum Beispiel ein Stück Pappe in einem Park sah, wusste ich, dass hier wahrscheinlich ein Schlafplatz ist. Viele Obdachlose wickeln sich zum Schutz vor Kälte in Pappe ein. Ich versuchte, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Ich war im Winternotquartier, um die Verhältnisse dort kennen zu lernen. Ich versuchte zu verstehen, aus welchen Gründen viele Obdachlose auch im Winter im Freien übernachten, obwohl es diese Unterkünfte gibt.
Ihre Bilder wirken auf den ersten Blick wie Architekturfotografie.
Mir war der objektive, neutrale Blick auf die Stadt wichtig. Die Stadt ist Ausdruck von unserer Gesellschaft. Die Elemente dieses geordneten Lebens sind überall gegenwärtig, die Bushaltestelle, der Papierkorb, die Fahrbahnmarkierung. Doch mitten in diesem geordneten Bild ist auch etwas Störendes, ein Zeichen menschlicher Tragik. Genau das zu zeigen, hat mich interessiert.
Wie sollen die Betrachter aus der Ausstellung kommen?
Hoffentlich mit geschärften Sinnen und offeneren Augen! Meistens nehmen wir nur wahr, was uns betrifft. Doch das Leben ist viel komplexer. Viele Dinge sieht man erst auf den zweiten Blick. Ich habe die Obdachlosen ins Zentrum der Bilder gestellt. Das sieht man aber erst, wenn man genauer hinschaut.
Ausstellung "Nischen" ist bis zum 6. Januar 2015 zu sehen. Zur Eröffnung sprechen Hauptpastorin Pröpstin Astrid Kleist und die Kunsttheoretikerin Belinda Grace Gardner.
Zeit: Sonntag, 30. November, 11.15 Uhr
Ort: Hauptkirche St. Jacobi an der Steinstraße
Begleitend werden am 14. und 21. Dezember jeweils um 11.30 Uhr Führungen zu Orten der Obdachlosigkeit angeboten.