AIDS-Seelsorge "Jede Generation muss neu aufgeklärt werden"

kirche-hamburg.de: Was hat sich seit den Anfängen der AIDS-Seelsorge verändert?

Detlev Gause: Damals war AIDS ein Todesurteil. Wer mit dem HI-Virus infiziert war, hatte noch drei bis sieben Jahre zu leben. Seit 1996 gibt es Medikamente, die die Zerstörung des Immunsystems aufhalten. Die Tabletten haben allerdings Nebenwirkungen und bedeuten eine Einschränkung der Lebensqualität.

 

Bestand die Aufgabe der AIDS-Seelsorge zu Beginn der Arbeit vor allem darin, Sterbende und deren Zugehörige zu begleiten, Abschiede zu gestalten und Tod und Trauer zu bearbeiten, so geht es heute meist um Lebensbegleitung in sehr vielfältiger Form.

 

Wie ist die Situation heute?

Rund 8000 HIV-positive und AIDS-kranke Menschen leben in Hamburg und Umgebung. Zwei Drittel der Betroffenen in Deutschland sind berufstätig. Viele verschweigen anderen gegenüber ihre Infektion. Sie haben Angst, abgelehnt, ausgegrenzt, diskriminiert oder gemobbt zu werden.

 

Wer wegen seiner Infektion aus dem Erwerbsleben herausgefallen ist, sieht sich einer Vielzahl von Problemen ausgesetzt. Oft müssen solche Menschen mit sehr wenig Geld auskommen. Viele leben allein und sind dann oft auch psychisch belastet.

 

Was ist die Aufgabe der AIDS-Seelsorge?

500 Menschen halten das Jahr über Kontakt zu uns. Manche kommen einmal, andere täglich. Wir sind für diese Menschen da, hören zu und beraten. Aber wir helfen ihnen auch, im Alltag Autor ihres Lebens zu bleiben. Manchmal ist dazu unsere Begleitung in Behörden notwendig. Neben den Einzelgesprächen versuchen wir, die Betroffenen auch untereinander ins Gespräch zu bringen. Oft sind sie ja selbst die besten Experten für ihre Krankheit.

 

An jedem letzten Sonntag im Monat feiern wir abends um 18.00 Uhr einen AIDS- und Gemeindegottesdienst in der St. Georgskirche, in dem dann auch HIV-infizierte und AIDS-erkrankte in Statements oder Lebensbildern aus ihrem Alltag berichten.

 

AIDS ist kaum noch Thema in der Öffentlichkeit.

Die unmittelbar tödliche Bedrohung der Krankheit ist – zumindest in Westeuropa und Nordamerika – nicht mehr gegeben, seit es die Medikamente gibt. Trotzdem muss jede Generation neu aufgeklärt werden. Wenn Schulklassen oder Konfirmandengruppen zu uns kommen, um sich über unsere Arbeit zu informieren, merken wir, dass im Sexualkundeunterricht heute oft wenig über HIV/AIDS gesprochen wird.

 

Auch wenn bei uns in den Gottesdiensten beim Abendmahl aus einem Kelch getrunken wird, kommen regelmäßig Rückfragen, weil die Infektionswege bei vielen Menschen nicht bekannt sind. Gerade aber diese Form des Sakramentes hat eine große Symbolkraft für die HIV/AIDS-Betroffenen. Sie spüren hier, dass sie bei uns wirklich angenommen sind und nicht ausgegrenzt werden.

 

Was steht für die nächsten 20 Jahre an?

Wir wollen unser Angebot dem Bedarf der Betroffenen anpassen. So wird zukünftig das Wohnen im Alter eine Rolle spielen. Wir planen eine Wohnagentur, die für Menschen mit HIV und AIDS und für Homosexuelle in allen Lebenslagen Wohnmöglichkeiten vermitteln kann.

 

Auch soziales Wohnen in angesagten Stadtteilen, die immer mehr mit Eigentumswohnungen ausgestattet sind, liegt uns da am Herzen. Außerdem schwebt uns vor, im Sinne einer Wahlfreiheit für die Ratsuchenden zukünftig eine eigene psychosoziale Assistenz vorzuhalten. Der Bedarf dafür wächst ständig.