Interview Ist eine Bibelübersetzung politisch?

So sieht die Jubiläumsausgabe der neuen Bibelausgabe aus

Die neue Ausgabe der Lutherbibel ist auf dem Markt. Rund sechs Jahre haben Fachleute intensiv an der Revision gearbeitet. Christine Gerber, Professorin für Neues Testament an der Universität Hamburg, war von Anfang an dabei. Im Gespräch gibt sie Einblicke in ihre Werkstatt und erläutert, warum jede Bibelübersetzung auch politisch ist.

Das Interview

  • Beides. Ich habe an drei Büchern aus dem Neuen Testament intensiv mitgearbeitet: dem Zweiten Korintherbrief, dem Epheserbrief und dem Brief an die Kolosser. Als Exegetin (Bibelwissenschaftlerin, Red.) gehörte ich zu einer von mehreren Arbeitsgruppen aus Fachleuten, die die Texte durchgesehen haben. Die Exegetinnen hätten sich oft größere Veränderungen gewünscht – im Sinne von wissenschaftlich abgesicherten, heute verständlichen Texten. Doch dem Lenkungsausschuss, der die Arbeit im Auftrag der Evangelischen Kirchen in Deutschland koordinierte, war wichtig, den Wortschatz und Duktus der Luthersprache zu würdigen. Wir haben dann eine passende Grundlage gefunden, nämlich die Lutherbibel von 1545, die sogenannte Ausgabe letzter Hand. Das war ein guter Kompromiss: Sie war viel näher am griechischen Urtext als die letzten Revisionen.

  • Die letzte revidierte Lutherbibel ist 1984 erschienen. Man dachte, dass man sich viele Jahre darauf verlassen könne. Also starteten wir mit den sogenannten Probebohrungen. Man ging davon aus, dass man pro Kapitel vielleicht eine oder zwei Stellen ändern müsse. Doch das erwies sich als Fehlannahme. Am Ende haben wir in der Arbeitsgruppe über jeden einzelnen Vers durchschnittlich fünf Minuten diskutiert.

    Warum?

    Seit der Luther-Ausgabe aus letzter Hand, aber auch seit den letzten Revisionen  hatte sich sehr viel verändert. Wir haben neue Kenntnisse zu der ältesten Textgrundlage und der Bedeutung einzelner Worte. Anhand einer Tabelle mit dem griechischen Urtext und verschiedenen Übersetzungen sind wir die Texte durchgegangen. Sehr hilfreich war, dass eine Germanistin uns unterstützte, eine Expertin für die Sprache der Lutherzeit. So konnten wir verstehen, was Luther meinte, wenn er Worte gewählt hatte, die heute nicht mehr zu unserem Sprachgebrauch zählen.

  • Dem Lenkungsausschuss war wichtig, dass der Luther-Ton in der revidierten Fassung erhalten bleibt – und damit auch im Gottesdienst. Das ist etwa beim Vaterunser der Fall, wo die korrekte Übersetzung einer Stelle als Fußnote angegeben ist. Einige Passagen klingen jedoch nach wie vor altertümlich. Das schafft eine Distanz zum Text, die nicht im Sinne Luthers wäre. Er wollte, dass jeder die Bibel versteht! An anderen Stellen hat der Lenkungsausschuss viel Sensibilität bewiesen, etwa bei den Zwischenüberschriften und der Auswahl der fettgedruckten Verse. Statt moralisierend wirkender Mahnungen rücken sie jetzt den Zuspruch in den Mittelpunkt.

  • Jede Bibelübersetzung ist ein Politikum. Das war schon zu Luthers Zeiten so. Heute beschränkt sich das jedoch eher auf die kirchenpolitische Ebene. Die neue Bibel soll das protestantische Profil schärfen. Das merkt man auch an dem enormen Marketing mit Blick auf das Reformationsjubiläum im kommenden Jahr.

  • In jedem Fall. Die neue Ausgabe ist viel besser als die letzten Revisionen der Lutherbibel. Sie bietet einen nicht nur in der Übersetzung zuverlässigen, sondern auch sprachlich besonders schönen Text. Vielleicht klingt der ein oder andere Konfirmationsspruch jetzt anders. Doch das ist ein toller Anlass, wieder neu über biblische Texte ins Gespräch zu kommen. Und noch etwas: Eine Übersetzung ist nie abgeschlossen. Auch Luther hat mit Fachkollegen Zeit seines Lebens immer weiter an der „Biblia Deutsch“ gearbeitet. Insofern lautet ein treffendes Motto frei nach den Worten des früheren Fußballnationaltrainers Sepp Herberger: „Nach der Revision ist vor der Revision.“

Die Hamburger Theologie-Professorin Christine Gerber