Kirche & Kunst Himmlische Mittagspause in der Shopping-Zone

Hauptkirche St. Jacobi - Kanzel von 1610 (Ausschnitt)

An jedem 1. Dienstag und 3. Freitag im Monat richten Touristen, Büroangestellte, Senioren und Studenten mittags für 15 Minuten ihren Blick auf die Kunstschätze der Hauptkirche St. Jacobi. Unsere Autorin Silke Theune hat sich zu ihnen gesellt.

Am Dienstag nach Ostern startet meine Arbeitswoche ziemlich holperig. Ein Termin verschiebt sich und wie Dominosteine kippen gleich weitere wichtige Verbindungen. Mein Handy-Ladekabel ist unauffindbar und der Akku fast leer. Auf dem Weg zu "KirchenKunst in Kürze" fährt mir die U-Bahn vor der Nase weg, später drängele ich mich durch Menschenmassen die Mönckebergstraße hinunter Richtung St. Jacobi. "Der reinste Shopping-Wahnsinn" denke ich düster und flüchte mich geradezu hinter die große Holztür der Kirche. Drinnen ist es friedlich, die Mittagsandacht ist noch nicht ganz zu Ende. Etwa 40 Menschen lauschen der Orgelmusik. Ich setze mich und atme tief durch. 

Nachdem die letzten Töne verhallt sind, positioniert sich Karl-Günther Petters, ehemaliger Pastor von St. Jacobi und heute einer der sieben ehrenamtlichen Kunst-Führer, vorn in der Kirche. Knapp zehn Menschen folgen seinem Aufruf, sich vor der Kanzel einzufinden. Denn um die soll es in der heutigen Kurz-Führung gehen. Diesem "Zeugnis von Luthers Reformationsgedanken", so Karl-Günter Petters, wollen wir uns heute nähern. Wir - das sind vier Senioren, ein junges Touristenpaar mit City-Guide in der Hand und zwei Frauen in meinem Alter - umschreiten dazu als erstes andächtig die Kanzel. Alle Augen sind auf dieses Meisterwerk aus dem Jahr 1610 gerichtet.

"Was sehen Sie?"

Unser Kirchenkunstführer leitet unsere Konzentration vom Allgemeinen "Was können Sie sehen?" zu immer feineren Details "Was trägt dieser Engel in den Händen? Warum liegt Christuskind im Alabaster-Relief auf einem Altar und nicht in einer Krippe?" Wir dürfen schauen und unsere Vermutungen aussprechen. Karl-Günter Petters nimmt alles freundlich auf und ordnet die wilden Gedankenblitze zu sinnvollen Aussagen über die weltliche und geistliche Bedeutung der Kanzel.  Nach 15 Minuten ist sein "kurzer Lauf durch die ganze Theologie", wie Petters sich ausdrückt, vorbei. "Natürlich könnte man noch ewig weitermachen", sagt der ehemalige Pastor und man ahnt, dass er das ganz gern täte. Aber, fügt er hinzu: "In diesem Format müsse man sich eben disziplinieren, um nicht ins Reden zu kommen."

Viertelstündiger Ausflug im Alltag

"Kurz und knackig" sollen die Kunst-Führungen sein, dass betont auch Pastorin Andrea Busse, die dieses Angebot koordiniert. Viele ehrenamtliche Führer wurden am Pädagogisch-Theologischen Institut geschult und legen vor ihrer Tätigkeit eine Prüfung ab. Ansonsten lasse sie jedem Kirchenkunstführer freie Hand bei der Ausgestaltung seiner Viertelstunde. "Manche halten einen Vortrag, andere stellen Fragen und arbeiten eher dialogisch, wieder andere lesen auch Bibelstellen vor", erklärt Andrea Busse.

Ich merke nach meinem viertelstündigen Ausflug in eine andere Welt: Mir hat die Fokussierung auf die himmlische Welt der Kanzel-Reliefe gut getan. Sie hat mich aus meinem dunklen Grübeln und Grummeln geholt. Sie hat mich weicher gemacht und mehr ins Jetzt geholt. Darum trinke ich im Anschluss spontan noch einen Kakao im Kirchencafé und beobachte die Menschen, die draußen mit ihren Einkaufstüten vorbei ziehen – diesmal wohlwollend.

Die nächsten Termine:

 

Freitag, 17. April, 12:30 Uhr
"Jacobus in Jacobi – der Pilgerpatron und seine unterschiedlichen Darstellungen" – mit Uta Luckhardt

Dienstag, 5. Mai, 12:45 Uhr nach der Mittagspause für die Seele
"Die  Frau an Jesu  Seite –  Maria von Magdala" – mit Dr. Marita to Berens-Jurk

Freitag, 15. Mai, 12:30 Uhr
"Löwe, Adler & Co – die Evangelisten und ihre Symbole" – mit  Dr. Marita to Berens-Jurk

Dienstag, 2. Juni, 12:45 Uhr nach der Mittagspause für die Seele
"Öffne die Türen! Tor und Türen auf den Kirchenfenstern" – mit Christine von Seht

Freitag , 19. Juni, 12:30 Uhr
"Barockzeit und heute – wie sich die Bilder gleichen!" – mit Jörgen Bruhn

Die Führungen sind kostenlos