Frau Haberer, haben Sie heute schon getwittert?
Ich twittere nicht und bin auch nicht auf facebook. Ich möchte mich nicht den Datensammlern ausliefern.
Auf der Website hamburger-reformation.de heißt es: Luther hätte getwittert.
Was Luther angeht, sehe ich es genauso: Lebte er heute, würde jeden Kanal nutzen, auf dem er Menschen erreichen kann.
Er nutzte den Buchdruck. Und setzte eine Medienrevolution in Gang.
Der Buchdruck war bereits 70 Jahre zuvor erfunden worden. Was die Auflagen in die Höhe trieb, war Luthers Idee vom „Priestertum aller Gläubigen“. Dadurch entstand ein reformatorische und demokratisches Bewusstsein: Alle durften mitreden. Plötzlich schrieben nicht nur Priester und Gelehrte, sondern auch Bauern und Frauen. Flugschriften und Liedzettel wurden zu den ersten Massenmedien.
Sie beschäftigen sich in ihrem aktuellen Buch mit der Medienrevolution der Gegenwart. Was macht das Internet mit dem Glauben?
Im Netz betreten junge Menschen Anderswelten. Sie können sich überall hin beamen und Realitäten erleben, die über ihren eigenen Alltag hinausgehen. Sie erfüllen ihre Transzendenzbedürfnisse dort und nicht in der Kirche. Sie bekommen ein Echo in den sozialen Netzwerken. Das ist eine echte Wettbewerbssituation.
Wie kann Kirche darauf reagieren?
Auch wenn ich selber kein Twitterprofil habe: Ich rate der Kirche auf allen Kanälen aktiv zu sein, um Gottes Liebe und Freiheit zu vermitteln. Parallel dazu muss sie ihre medien- und kulturpolitische Verantwortung ernst nehmen. Sollen wirklich Aktiengesellschaften die Macht über die Kommunikation haben, wie Google oder Facebook? Das ist gefährlich, wie die Geschichte zeigt. Wer viel Macht hat, nutzt sie irgendwann auch.
Was meinen Sie konkret?
Für 40 Prozent der Menschen in den USA ist Facebook der einzige Informationskanal. Anders als im Journalismus gelten keine Sorgfaltskriterien, gibt es keinen Faktencheck. Jeder kann behaupten, was er möchte. Das polarisiert. Ich mache mir Sorgen um die Gesellschaft und die Demokratie. Sorgfältig recherchierte Geschichten und Hintergründe sind für uns so lebenswichtig wie frisches Wasser, hat ein früherer ZDF-Intendant gesagt. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Sie stellen im Ihrem Buch zehn Gebote für die digitale Welt auf. Was sind die drei wichtigsten?
Zuerst das 8. Gebot: „Du darfst nicht digitalen Rufmord betreiben“. Das hat die höchste Priorität. Niemand sollte die Anonymität des Netzes zu nutzen, um andere zu dissen und auszuschließen. Dann das erste Gebot – dass allein Gott das Sagen hat, schenkt Freiheit. Das Internet hat die Potenz eines totalen Zugriffs auf den Menschen. Daher sage ich: Lasse Dich nicht vereinnahmen. Und als letztes das dritte Gebot: Heilige den Sabbat! Halte Pausen ein, stelle dich auch mal offline. Dann blickst du besser durch.
Johanna Haberer, 60, ist Journalistin, Pastorin und Professorin für evangelische Publizistik in Erlangen. In ihrem aktuellen Buch "Digitale Theologie" beschäftigt sie sich mit der Medienrevolution der Gegenwart.