Tschernobyl-Kinder der zweiten Generation Hamburger Kirchen schenken strahlenbelasteten Kindern aus Weißrussland unbeschwertes Ferienlager

Tschernobyl-Aids wird die Schwächung des Immunsystems durch atomare Strahlenbelastung in Weißrussland genannt. Die zweite Generation hat 23 Jahre nach der Reaktor-Katastrophe des russischen Atomkraftwerks besonders gesundheitlich zu leiden. Galina Scharanda dolmetscht bereits zum zehnten Mal bei dem Besuch von Kindern aus Weißrussland. Die Dozentin von der medizinischen Hochschule in Minsk bringt es auf den Punkt: "Das richtige Tschernobyl hat für uns erst nach 20 Jahren begonnen." Ein Fünftel vom Gebiet Weißrusslands sei dauerhaft strahlenverseucht. Die Mediziner beobachteten einen Anstieg bei den Missbildungen und Krebserkrankungen wie Leukämie bei der zweiten Generation. Schon Achtjährige leiden demnach an Gastritis. Die Nahrungsmittel seien mit Caesium und Strontium stark belastet und die Kinder hätten keine Alternative, den Gefahren durch die Strahlenbelastung zu entkommen.

 

Zumindest durch die Einladung hier nach Hamburg können sich 30 bis 40 Kinder einmal richtig erholen und gesundes Essen bekommen, sagt Pastor Andreas Zühlke von der Flottbeker Melanchthon-Gemeinde. 1991 hatte er mit seiner Gemeinde und mit der Luthergemeinde in Bahrenfeld angefangen, Kinder aus Weißrussland nach Hamburg einzuladen.

 

Und das Engagement der Hamburger Gemeinden wird dringend gebraucht. Die Folgen des sogenannten Tschernobyl-Aids äußerten sich nicht nur in dauerhafter Immunschwäche bei den Kleinsten, sondern auch durch Augenschäden und ein schlechtes Gebiss. Freiwillige Augen- und Zahnärztinnen behandeln die Kinder während der Ferien in Hamburg auf eigene Kosten. Großoptiker Fielmann sponsert die Brillen dazu. Nur durch die zahlreichen Spender und Sponsoren, die Zuwendungen vom Lionsclub und vom Kirchenkreis Hamburg West können die Kosten in Höhe von 35.000 Euro aufgebracht werden, sagt Pastor Zühlke. Dafür können auch alle zwei Jahre weitere Kinder einen drei bis vierwöchigen Urlaub erleben.

 

Für die weißrussischen Kinder verheißt der Hamburger Urlaub aber nicht nur beste medizinische Versorgung, sondern auch Ausflüge auf den Dom und in einen Freizeitpark. Höhepunkt war der Besuch am Strand von St. Peter-Ording, übersetzt die Dolmetscherin aus Minsk. Und zwei Wochenenden konnten sie in Hamburger Familien hinein schnuppern. Zu den langjährigen Helfern zählt beispielsweise Elke Kossatz, die bereits zum fünften Mal zwei Schützlinge aufgenommen hat. In diesem Jahr waren Stepan (14) und Stanislav (12) zu Gast. Stepan hat gerade seine neue Brille bekommen und ist froh, wieder den Durchblick zu haben.

 

In zwei Jahren sollen wieder andere Kinder zwischen acht und vierzehn Jahren die Chance auf einen Urlaub in der Freiluftschule in Wittenberge am Rande von Hamburg bekommen. Im nächsten Jahr steht der Gegenbesuch von Pastor Zühlke und einigen Helfern auf dem Plan, wie nach jedem Ferienlager. Tatsächlich legen die weißrussischen Behörden den Helfern in Hamburg immer mehr Steine in Weg. Es gibt immer mehr Auflagen, wie Zühlke sagt. Jetzt sollen die Kinder eine ärztliche Behandlung nur noch im Notfall bekommen. Bei den Helfern sorgt das nur für Kopfschütteln - kein Grund für Zühlke sich einschüchtern zu lassen. Offenbar sorgt sich Weißrussland um sein Image im Ausland. In Deutschland mag zwar die Tschernobyl-Katastrophe und die Folgen durch die atomare Strahlenbelastung weitgehend vergessen sein - in Weißrussland fangen die Leiden der zweiten Tschernobyl-Generation jedoch erst an.

(mk)