Interview Gospel ist Sehnsuchtsmusik

Frage: Was fasziniert Sie an Gospel?


Pikora: Gospel ist Sehnsuchtsmusik. So wie es die alten Spirituals waren, in denen die Sklaven über den Verlust der Heimat und die Hoffnung auf das Land Gottes besangen. Die Botschaft kommt über die Musik herüber. Darum ist sie schwer zu beschreiben, sie lässt uns unsere tiefsten Fragen ahnen, uns zu versunkenen Emotionen in uns zurückfinden. Und die Musik zeigt immer Hoffnung auf, Hoffnung auf den Gott, der - wie es in einem Adventslied heißt - "im Dunkel wohnen" will.


Frage: Bei Liedern wie „Go down Moses“ oder „When the Saints go marching in“ haben viele Menschen die Melodie und den Rhythmus gleich im Kopf. Gospelmusik kennt viele Stilelemente wie Blues und Jazz. Moderne Chöre setzen auch auf Reggae, Country oder Hip-Hop. Welche musikalischen Akzente setzen Sie?


Pastor Reinhard Pikora: Gospel nimmt Elemente aller Stilrichtungen auf und ist eigentlich keine eigene musikalische Stilrichtung. Ich versuche, die Pentatonik (5-Ton-Musik) der alten afrikanischen Spirituals zu berücksichtigen, die von den Sklaven nach Amerika exportiert wurden. Ferner betone ich das Element "Call-and-response" (Vorsänger-Chor), bin also an den Wurzeln der Gospels orientiert.



Frage: Seit 13 Jahren komponieren Sie Gospelmessen selbst. Was zeichnet eine Gospelmesse aus?


Pikora: Es ist Musik aus der Praxis für die Praxis. Zum ersten: Alle liturgischen Stücke der alten Messe wie "Kyrie, Gloria" usw. werden durch neu geschriebene Gospelsongs ersetzt. Der gute alte Ablauf eines Gottesdienstes, der seinen tiefen Sinn hat, kann dadurch gewahrt bleiben, wird aber für die Menschen von heute nachvollziehbar. Zum zweiten: Wichtig ist mir in allen meinen Gospelmessen die dialogische Form. Nicht der Chor gibt ein Konzert, sondern Chor und Gemeinde feiern einen Gottesdienst, darum ist die Gemeinde Mitträgerin des musikalischen Geschehens. Das setzt voraus, dass die von der Gemeinde mitzusingenden Stücke relativ einfach sein müssen und schnell zu lernen.

 

Frage: Seit wann gibt es Gospelchöre in ihrer Gemeinde?

 

Pikora: Wir haben den ersten Gospelchor aus einer Jugendgruppe heraus im Jahre 1993 gegründet. Seitdem wird in unseren Gottesdiensten Gospel gesungen. In der Folge wurden weitere Chöre gegründet, bald ein Kindergospelchor, dann ein Chor für alle Generationen "Living Motion" und schließlich vor vier Jahren der Frauengospelchor "Sisters in Soul". Außerdem organisieren wir zweimal im Jahr Afro-Gospel-Workshops in unserer Gemeinde mit den Leitern "Ya'Beppo und Gisela", die sich auf diese Gospels spezialisiert haben. Der nächste Workshop beginnt übrigens am 19. Dezember.

 

Mechthild Klein (kirche-hamburg.de)