Lutherjubiläum "Gegen-Wind-Gedanken" zum Reformationsfest

Über die Ursprünge kirchlicher Feste etwas zu wissen, schade nichts - es könne sogar "heilsame Irritationen" mit sich bringen, schreibt der Hamburger Propst Johann Hinrich Claussen in seinem neuen Buch "Gegen-Wind-Gedanken - mit dem Fahrrad durch das Kirchenjahr." Und der "Gegenwind" des radelnden Theologen machte offenbar auch vor dem Reformationstag nicht Halt: Zum ersten Mal sei dieser Tag einhundert Jahre später gefeiert worden, am 31. Oktober 1617.

 

Wittenberg rang um Bedeutung

Die Initiative dazu sei damals von der Theologischen Fakultät zu Wittenberg ausgegangen. Sie habe den Landesherrn und das Oberkonsistorium gebeten, dieses Datum zu einem großen Fest machen zu dürfen. Die Motive dafür seien "auch eigennützig" gewesen, so Claussen. Denn die Fakultät habe damals "nach einer Hochphase unter Luther und Melanchthon erheblich an Bedeutung und Studenten verloren".

 

Wittenberg habe sich damals "mit einem neuen Reformationsfest" auch gegenüber der konkurrierenden Fakultät in Leipzig "als die eigentlich feste Burg der lutherischen Orthodoxie" positionieren wollen. Dem Landesherrn sei dies recht gewesen: Damit habe er auch "sein eigenes Gottesgnadentum" feiern sowie an die Bedeutung seiner Familie zur Durchsetzung der Reformation erinnern können.

 

Martinstag wurde Luther-Fest

"Was zunächst als eine einmalige und lokale universitäre Feier gedacht war, wurde zu einer der ersten breitenwirksamen außeruniversitären Jubiläumsfeiern der Neuzeit", so der Theologe. Vorher habe es in den lutherischen Gebieten sehr unterschiedliche Traditionen des Reformationsgedächtnisses gegeben. Mal feierte man die erste lutherische Predigt, mal die Einführung der reformatorischen Kirchenordnung. Auch der Martinstag sei in ein Martin-Luther-Geburtstagsfest verwandelt worden.

 

Mit großem organisatorischen Geschick sei es gelungen, weit über Wittenberg hinaus eine einheitliche Feier zu gestalten. Dies habe bis ins 19. Jahrhundert stilbildend fortgewirkt und sei erst "später zu einem festen Bestandteil des lutherischen Kirchenjahres" geworden. Im Rückblick sei es erstaunlich, so Propst Claussen, wie es den Wittenbergern gelingen konnte, eine wenig bedeutsame und zudem schlecht bezeugte Episode wie den Thesenanschlag als den eigentlichen Meilenstein der Reformation im kollektiven Gedächtnis zu verankern.

 

Konfessionelle Intoleranz

Vor dem "dunklen Horizont" des folgenden 30-jährigen Krieges (1618-1648) sei es indes nicht überraschend, dass der erste Reformationstag 1617 "von lutherischem Triumphalismus und konfessioneller Intoleranz geprägt war". Claussen: "Man vergewisserte sich der eigenen Heilsgeschichte dadurch, dass man sich hochaggressiv gegen Katholiken und Calvinisten abgrenzte."

 

"Personenkult und Konfessionshass" hätten den Reformationstag lange geprägt. Vor über hundert Jahren habe "ein triumphalistisch gestimmter Nationalprotestantismus" fast überall in Deutschland Lutherdenkmäler aufgestellt: "Das war eine fatale kirchliche Methode." Daher bedürfe es "erheblicher Übersetzungsanstrengungen und Reinigungsgänge, um diesen Tag heute angemessen zu begehen".

 

 

Literaturhinweis

Johann Hinrich Claussen:

"Gegen-Wind-Gedanken - Auf dem Fahrrad durch das Kirchenjahr"

Kreuz-Verlag 2012, 14,99 Euro

ISBN 978-3-451-61145-2